Im Auftrag des Bayerischen Rundfunks habe ich dieses Radio-Feature verfasst. Gegenstand: Die erste Vergabe des Reinhard-Schulz-Preises für zeitgenössische Musikpublizistik 2012 in Graz.
Notiz: Die Sache ist meines Erachtens nicht besonders gut geworden. Mir ist leider nicht die richtige Form eingefallen und so fallen Zeit, Problem, Gegenstand und Gestaltung immer wieder auseinander. Hier der Originaltext mit seinen schon absehbaren Streichungen. Es wurde dann noch mehr gestrichen und gestrichen, so dass am Ende die Sendung zu kurz wurde. Kein Witz. Nur ist ist Sache ja folgende. Ab einer bestimmten Streichmenge wird die Sache nur noch chaotischer. Also: Ich bin nicht zufrieden. Sagen wir mal so: Am besten sind die Interview-Töne!
In seinem Feature für BR-KLASSIK stelle ich den Reinhard-Schulz-Preis für zeitgenössische Musikpublizistik und seinen ersten Preisträger vor. Zu Wort kommen Lothar Knessl, Sven Hartberger, Robert Höldrich, Andreas Kolb, Wolf Loeckle, Reinhard Schulz und Patrick Hahn. Der Autor bedankt sich bei allen Interviewpartnern aufs Höflichste. Die Sendung wird bereitgestellt vom Bayerischen Rundfunk. Erstausstrahlung der Sendung war am 13. November 2012, 21:15 auf BR-KLASSIK (Redaktion: Helmut Rohm).
Ouvertüre
Musik: Mischung aus Glocken, Gemurmel und Musik
Autor: Leise läuten die Glocken im Tal der Murr. Es ist Spätsommer in der Steiermark. Die Stadt Graz liegt zu Füßen, postkartengleich. Wie jedes Jahr zu dieser Zeit treffen sich Menschen, um neue Musik zu hören und über sie zu diskutieren. Das musikprotokoll im steierischen Herbst ist ein fester Bestandteil des sogenannten Neue-Musikzirkus‘. Viele Musiker, viele Komponisten, viele Zuhörer, ein Tross von Musikkritikern – letzteres eher dann doch nicht. Musikpublizisten mit Draht zum Aktuellen sind rar. Vor etwa 20 Jahren hat hier einer von ihnen den Grazer Preis für Musikkritik im steierischen Herbst erhalten: Es war der Musikpublizist Reinhard Schulz. Seither ist dieser Preis nie wieder vergeben worden und ob das jemals wieder der Fall sein wird, ist mehr als ungewiss.
Musik:
Autor: Als Reinhard Schulz vor drei Jahren nach einer langen und schweren Erkrankung starb, fehlte auch diese Stimme noch und hinterließ eine bemerkbare Lücke. In vielen Beileidsschreiben an seine Lebensgefährtin Anke Kies wurde dies von Kollegen, Veranstaltern, Musikern, Ensembles, Komponisten und Medien beklagt. So entwickelte die Lebensgefährtin von Reinhard Schulz, Anke Kies, den Plan, einen Preis ins Leben zu rufen, der dem Nachwuchs im Bereich der zeitgenössischen Musikpublizistik gewidmet sein sollte. Als erster Austragungspunkt für die Verleihung des Preises wählte man Graz. Robert Höldrich, Vizerektor der Kunstuniversität Graz, erinnert sich:
O-Ton 0: 00:00:00-0 Also angefangen hat das mit einem Zufall: Klaus Lang, einer unserer Komponisten hat mich angesprochen darauf, dass Anke Kies, die Witwe nach Reinhard Schulz, die Idee hat, einen Preis junge zeitgenössische Musikpublizistik zu entwerfen. Und wir hatten im Haus eine kurze Diskussion, ob wir uns daran beteiligen wollten, und die Diskussion war schnell beendet, für uns gab es einfach mehrere Gründe, bei dieser sehr unterstützenswerten Initiative mitzumachen. 00:00:29-8 Erstens hat die Grazer Kunstuniversität einen Schwerpunkt in der zeitgenössischen Musik, sowohl, was die Kompositions-Faculty angeht als auch, was die Tatsache betrifft, dass das Klangforum bei uns ein Ensemble in Residence ist, darüber hinaus verstehen wir den universitären Gedanken so, dass eine Kunstuniversität nicht nur praktische Ausbildung in der Musik betreibt, sondern sich auch der Reflexion, dem Nachdenken über Musik zu widmen hat. Und da steht der Name Reinhard Schulz und die Idee, junge Leute zu animieren und auszuzeichnen, wenn sie gut über Musik nachdenken und schreiben – diese Idee war für uns sofort charmant. 00:01:12-3
Autor: Wer aber war dieser Reinhard Schulz, nach dem der Preis benannt ist? Lothar Knessl, ein Urgestein der Neuen-Musik-Szene, verfolgt die Entwicklung seit den 50er Jahren des letzten Jahrhundert von innen und von außen. Er erinnert sich:
O-Ton 1: Knessl: 00:01:15-1 Ich habe ihn in Donaueschingen kennen gelernt und schätzen gelernt. Er ist im Umgang und im Gespräch und vor allem auch aufgrund einiger seiner Beiträge in der nmz – wo auch immer – er hat sich nie aufgedrängt, und war immer sehr ruhig und hatte immer als Markenzeichen seine Lederkappe auf. Und das ist eine Äußerlichkeit, aber irgendwo doch ein Symptom für eine ganz bestimmte Figur, die man dann also in dem Kreis lostrennen konnte – also persönlich, nicht im Dutzendbild – und wenn man seine Beurteilungen oder Betrachtungen über die jeweils neue Musik und über die vielen Uraufführungen, die er natürlich auch mitgekriegt hat, anschaut, ist er in allen seinen Bewertungen – und das war sozusagen ein Markenzeichen – nie verletzend gewesen und hat immer versucht, darzustellen – das ist auch eine Platzfrage – warum es so geworden ist und ob es hätte anders sein können. Das heißt, er ist der Möglichkeit der Begründung tunlichst näher getreten. 00:02:41-1
Autor: Die hohe Qualität der Musikkritik von Reinhard Schulz haben auch die Interpreten Neuer Musik immer wieder festgestellt. Sven Hartberger ist Intendant des Klangforums, einem Ensemble für Neue Musik.
O-Ton 2: 00:00:17-0 Ich habe ihn sehr gemocht. Er ist einer von den Ruhigen, Symphatischen gewesen. Reinhard war nicht laut und nicht aufdringlich, hat aber dafür Substanz gehabt in dem was er gedacht und gesagt und geschrieben hat. Das hat man von der ersten Begegnung an gleich gespürt. Man hat aufpassen müssen und sich konzentrieren müssen, wenn man mit ihm gesprochen hat, weil er drauf bestanden hat, dass das, was man zu ihm sagt, irgendwie Sinn hat, und er hat das aber von sich aus auch geleistet. Also, was er gesagt hat und er geschrieben hat, hat Sinn und Bedeutung gehabt. 00:00:50-3
Autor: Einer, der es wissen muss, ist der ehemalige Redakteur für E-Musik und Features beim Bayerischen Rundfunk: Wolf Loeckle. Beide haben bis zum Schluss miteinander kritisch-produktiv zusammengearbeitet. In seinen Ausführungen anlässlich der Verleihung des Reinhard-Schulz-Preise für zeitgenössische Musikpublizistik in Graz hat er die Fähigkeiten von Reinhard Schulz bündig zusammengefasst.
O-Ton: 00:11:48-4 Differenzierende Genauigkeit, Offenheit für theoretische Ansätze und musikalische Umsetzungen waren der Qualitätsstandard der Schulz´schen Urteile. Was schwach war nannte er schwach. Und wenn etwas gut war, sagte er es auch. Ohne Umschweife. Fast immer in zwingender Begründung. Und wenn das Mitdenken bei uns nicht auf Anhieb klappte, lernten wir daraus, davon – im Weiterdenken. 00:12:14-5
Autor: Andreas Kolb, Chefredakteur der neuen musikzeitung hat über viele Jahre eng mit Reinhard Schulz zusammengearbeitet. Sein Fehlen in der Redaktion bedauert er sehr, nicht allein menschlich, sondern auch fachlich. Reinhard Schulz habe immer einen besonderen Zugang zu Themen der Neuen Musik gefunden. Das erschöpft sich nicht nur in Konzert- und Werkkritiken sondern unfasst den gesamten Apparat, in dem Neue Musik sich darstellt, der gesellschaftlichen und politischen Zuordnung. Auch die Art und Weise, die Dinge zur Sprache zu bringen, war singulär, meint Andreas Kolb:
O-Ton 3: #00:01:41-8# Zum Anderen war einfach ein ganz kompetenter und kluger Feuilletonist – fast jeder seiner Texte barg irgendeine Überraschung, eine interessante Gedankenwendung, bilderreich, unerahnte Dinge, die man, auch wenn man das gleiche Stück gehört hat so oft nicht aufgefasst hat und neben seinen Feuilletons und auch seinen Konzertkritiken (..) habe ich immer sehr gern gelesen seine Kommentare, ganz knapp, kurz und treffend, die er meistens in einem Schwung – zwischen zwei Mahlzeiten kann man mal sagen – er war ja ein Genussmensch – in ein zwei Stunden geschrieben hat. Und zwar nicht skizziert hat, sondern fix/fertig geschrieben, das wurde dann auch nicht mehr drauf geguckt und nichts mehr redigiert. #00:02:27-6#
#00:15:38-0# Reinhard Schulz steht noch für den Typus von Kritiker, der wirklich wortgewaltig ist. Das ist ja mit das Besondere gewesen, dieser Farbenreichtum, dieser Bilderreichtum, (Farbenreichtum ist vielleicht nicht das richtige Wort), aber er hatte wirklich Gewalt über das Wort. Er hatte Wörter zur Verfügung, um sich auszudrücken, um über das zu sprechen, was eigentlich nicht sagbar ist, nämlich Musik.
Autor: Reinhard Schulz hat die Herausforderungen der Neuen Musik mit seiner Sprache pariert. Nicht nur in Zeitungen, Zeitschriften und Buch-Aufsätzen, sondern auch in zahlreichen Musiksendungen im Rundfunk und als Diskussionspartner auf offener Bühne wie zum Beispiel beim Musikmagazin „taktlos“ des Bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung.
O-Ton 4: Schulz in der Radiosendung taktlos: 00:06:01-4 Äh, wir sollten, glaub ich mal, auch weggehen von diesen Minderwertigkeitskomplex, wie wenn wir saures Bier verkaufen müssten. Die Neue Musik ist, das sage ich jetzt mal so emphatisch, das ist die Äußerung von den sensibelsten Musikern, die wir in Deutschland haben. Dass das natürlich eine erst mal auf eine größere Masse trifft, die diese Sensibilität nicht haben, oder noch nicht haben, das (Einwurf: Wie willst du denn denen diese Sensibilität nahebringen, ich benutze jetzt nicht das Wort „erziehen“). Durch Begeisterung. Durch Begeisterung. Einfach durch Begeisterung. Aber auch durch Ideen, und da habe ich bei diesem Projekt der Deutschen Kulturstiftung doch etwas meine Bedenken. Weil die Begeisterung darf nicht nur vom Komponisten kommen oder von den Ausführenden kommen, sie muss auch von den Initiatoren kommen. 00:06:55-5
Musik: Graz-Musik: Cagestehlen mit Musikdieb13
Autor: Zuletzt arbeitete Reinhard Schulz auch als Musikveranstalter, in dem er das Festival „Klangspuren“ im österreichischen Schwaz wissenschaftlich-künstlerisch begleitete und als Mitbegründer der Münchner Gesellschaft für Neue Musik 1997. Die Kritikerpersönlichkeit, die nur Kritiker ist und nichts als Kritiker, ist heute kaum noch denkbar. Man verbindet sie heute immer noch mit einem Wort wie „Kritikerpapst“. Ein Papst war Reinhard Schulz gerade nicht, weil er nicht von der Kanzel herab sprach und in objektiven, natürlich vollkommen unabhängigen Sachurteilen, den Daumen hob oder senkte.
Beengung der Musikpublizistik
Autor: Aber auch die Medienwelt hat sich gewandelt. Nicht nur Kritikerpersönlichkeiten wie Reinhard Schulz sind Mangelware, auch die altbekannten Orte, wo man über Neue Musik publizieren kann, sind immer seltener zu auf den Landkarten des Kulturlebens zu finden. Der Intendant des Klangforums, Sven Hartberger, beobachtet:
O-Ton 5: 00:08:09-4 Aber es ist doch der Befund so, dass das die Tageszeitungen halt immer weniger Raum der Musik und vor allen Dingen der Neuen Musik geben, diese Tendenz gibt es. Da sind, denke ich die Publizisten aufgerufen, daran etwas zu ändern. 00:08:23-2
Autor: Ins gleiche Horn stößt auch Wolf Loeckle, ehemaliger Redakteur für E-Musik beim Bayerischen Rundfunk. In seiner Rede zur Verleihung des Schulzpreises aus kommt er zum fatalen Ergebnis einer immer mehr schwindenden, auch qualitativ hochstehenden Kulturberichterstattung:
O-Ton: 00:10:19-8 Seien es die rapide schrumpfenden Kultur-An-Teile von Boulevardzeitungen oder die Musikprogramme öffentlich-rechtlicher Sender. Die erfüllen zwar ihren jeweiligen und gesetzlich festgeschriebenen Kulturauftrag. Bei vermeintlich sperriger Ware allerdings weithin unter Ausschluss der Öffentlichkeit, so zwischen zweiundzwanzig Uhr und zwei Uhr morgens… Dass umfänglichere Gedankenstränge nach Art von Kritikerpäpsten wie Eduard Hanslick oder Hans Heinz Stuckenschmidt heute als Material für den Papierkorb durchgehen, ist eine Tatsache, die der Realität mancher Feuilletons die Schamröte ins Gesicht treiben müsste. 00:10:54-7
Autor: Reinhard Schulz gehörte noch zu den Autoren, die einen langen Atem im Denken und Schreiben hatten – und zugleich zu den Autoren, die für sich das Denken in langen Atemzügen erlaubten und in seiner Präsenz in der Öffentlichkeit, sei es durch Artikel oder Rundfunkfeatures, durchsetzten. In einem seiner letzten Texte setzte sich Reinhard Schulz mit dem „Elend der Musikkritik“ unter dem Titel „Symptome der Verarmung“ auseinander. Er macht für die gegenwärtigen Probleme nicht nur die Medien verantwortlich, sondern auch die veränderte Haltung der Kritiker selbst:
Zitator: Es ist ein Bruch den wir überall in den Feuilletons beobachten können. Besprechungen von Musik findet sich meist nur noch am Rande – mit Ausnahme der Opernkritik, die aber in erster Linie Inszenierungskritik ist (neben ein paar flüchtigen Anmerkungen zu Qualität von Orchester und Sängern). Zusammenhängen dürfte dies mit dem Antritt einer neuen Kritikergeneration, in der Ereignisjournalismus höher eingeschätzt wird als Sachjournalismus. Event und Lifestyle spielen die maßgebliche Rolle, (…). Es steht zu befürchten, dass ein profundes, kritisches Betrachten musikalischer Entwicklungen zur Randexistenz verkümmert.
Autor: Es greift alles ineinander. Die neue Kritikergeneration, die Reinhard Schulz hier aufs Korn nimmt, scheint ja insgesamt nur besser an die aktuelle Mediensituation angepasst zu sein. Sie liefert, was gewünscht wird. Und umgekehrt wird immer mehr gewünscht, was sich ausliefern lässt.
Zitator: Die Musik wird nach ihrer Wirkung auf das versammelte Publikum hin befragt, eine kritisch analytische Sichtung der Struktur, ihrer Potenziale, ihrer Stellung zum ästhetischen Denken der Zeit fällt demgegenüber unter den Tisch. Und somit droht sich langsam die ganze Landschaft zu verändern. Sätze wie „Ich muss über Musik nicht nachdenken, sie soll mir einfach gefallen“ werden unhinterfragt übernommen und setzen sich in den Köpfen der Veranstalter, der Musiker und nicht zuletzt der Hörer fest: zudem mit der Überzeugung, das musikalische Geschehen wieder auf seine Grundvoraussetzungen zurückzuführen. Es ist ja wirklich so: Musik muss gefallen, sonst wäre der Konzertbesuch eine Selbstkasteiung und etwas für Masochisten. Aber das Gefallen ist eine in sich widersprüchliche Einheit, impliziert auch die Reflexion und verkümmert, wenn es allein beim Wellness-Feeling bleibt.
Autor: Daraus folgt insgesamt eine Art Talfahrt – und immer mehr Leute steigen in das Gefährt ein, das sich beschleunigend dem Larifari in der Berichterstattung annähert. Robert Höldrich, der Vizerektor der Kunstuniversität Graz beobachtet diese Entwicklung mit Besorgnis:
O-Ton 6: RH: 00:02:33-1 Wir sind sicherlich im Bereich der Kulturpublizistik und vielleicht überhaupt im Kulturbereich immer stärker in einer Situation des Prekariats. Wir sehen – in Österreich vielleicht noch gar nicht so stark wie in anderen Ländern ein Zurückfahren der Kulturbudjets, wir sehen, dass die Medien, die (sich) die Zeit und den Platz einräumen, einer tiefgehenden Reflexion, dass diese Medien eher im Abnehmen sind. Meist ist nur mehr Platz für eine Musikkritik, die da lautet, hat stattgefunden, und dann „Like“ oder „Dislike“, genau das ist diese Form von Verflachung wollen wir nicht haben. Und hier im deutschsprachigen Raum einige Institutionen gefunden zu haben, die da auch dagegen halten wollen, ist für uns ein schönes Zeichen und – glaube ich auch – ein Zeichen in die Kulturszene hinein, dass es noch immer Institutionen gibt, die wissen, dass das Denken eine Tätigkeit ist, ohne die einfach Kulturbetrieb nicht funktioniert. 00:03:29-9
Autor: So schließt sich der Kreis in einer Art totaler Selbstbestätigung. Ein Zirkel, vielleicht eher ein Teufelskreis, der das Musikleben selbst auch die Musikpublizistik, speziell auch im Bereich der Neuen Musik, beschädigen wird, wenn man dagegen nichts unternimmt.
Musik: Jakuber, Dort, Klangforum, (1:32) [Track: Jakuber 01]
Autor: Lothar Knessl, zur Frage, ob es heute ein Defizit im Bereich der Musikpublizistik gibt:
O-Ton 7: 00:02:45-0 Jetzt ja! (Jetzt ja?) ein Enormes. Also es ist grauenhaft, einfach gesagt. Es ist kaum jemand, der erstens die Vorauskenntnis hat, es wird immer oberflächlicher alles, und es gibt dann andererseits auch wieder kaum eine Zeitung, die in das Feuilleton wirklich genügend Zeit und Raum investiert und sagt, das ziehen wir durch. Es ist nämlich meine Beobachtung von den verschiedensten Zeitungen jene, dass es völlig egal ist, ob das Feuilleton gut und ausführlich oder schlecht und klein gemacht wird, das verändert nicht die Auflage. Man kann also unbeschadet ein sehr ordentliches, niveauvolles Feuilleton mit den entsprechenden Leuten durchziehen und man muss nicht von vornherein schon heruntergehen, bevor die (Leder) die Leser heruntergegangen sind. 00:03:40-9
Der Preis
Autor: Auf solche Selbstheilungskräfte, die sich aus der Logik der Medien ergeben könnten, kann man sich freilich nicht verlassen. Das ist die Stelle, an der die Konzeption des Reinhard-Schulz-Preises für zeitgenössische Musikpublizistik ansetzt. Neben einem Preisgeld von 3.000 Euro soll vor allem dafür Sorge getragen werden, dass der Preisträger in die Welt der Neuen Musik tief und weitgefächert einsteigen kann – eine Art Netzwerk für zeitgenössische Musikpublizistik gehört zum Plan des Schulz-Preises.
O-Ton 8: 00:01:12-3 Vor allem auch vor dem Hintergrund, und das ist etwas, wo man Anke Kies für die Idee und dann auch für den starken Einsatz danken muss, der Preis war so konzipiert, nicht nur mit Geld und mit sichtbarer Auszeichnung versehen zu sein, sondern dem Preisträger oder der Preisträgerin die Möglichkeit zu eröffnen, auch weiterhin publizistisch tätig zu sein und sichtbar zu werden. Dabei ist es gelungen, eine doch große Anzahl von namhaften Partnerinstitutionen für diesen Preis zu gewinnen, die sich dazu bekannt haben, dem Preisträger oder der Preisträgerin die Möglichkeit zu weiteren Arbeiten einzuräumen. Und das ist etwas, was – ich will nicht das Wort Nachhaltigkeit zu stark strapazieren, aber was einem jungen Publizisten und einer jungen Publizistin die Möglichkeit gibt, stärker ins Geschäft hineinzukommen. 00:02:03-0
Autor: Zu den Partnern des Preises gehören BR-KLASSIK, der Deutschlandfunk, der Österreichische Rundfunk, die neue musikzeitung, die Klangspuren Schwaz, das Lucerne Festival, die Donaueschinger Musiktage, das Grazer musikprotokoll im steierischen Herbst, das Münchner Kammerorchester, die Kunstuniversität Graz, der Landesmusikrat Thüringen und die Schneider-Forberg-Stiftung; letztere stiftet das Preisgeld. Ein bunter Strauß von Partnern, der öffentliche wie private Institutionen und auch ein Musikerensemble miteinschließt. Einer der Partner des Preises ist die neue musikzeitung. Chefredakteur Andreas Kolb über die Motivation, sich beim Schulz-Preis zu engagieren und über den eigentlichen Sinn des Preises:
O-Ton 9: #00:02:52-0# Dieser Preis hat zwei Funktionen: das eine ist für uns aus der neuen musikzeitung, das Andenken an Reinhard Schulz und natürlich auch, dass wir mit so einem Preis Musikjournalismus so verstehen, dass er sich auch um das Gegenwärtige, um das Zeitgenössische kümmern sollte. Es ist ein Versuch, einer von vielen, junge Autoren dazu zu bewegen, nicht nur in die Oper, in das Konzert oder ins Popkonzert zu gehen, sondern sich auch mal in diese manchmal sektiererischen, manchmal geheimbündlerischen und manchmal auch ganz offenen Zirkel der neuen Musik zu begeben und sich darauf einzulassen und auch drüber zu berichten. Ganz einfach … #00:03:40-7#
O-Ton 10: #00:04:11-5# 3000 Euro ist nichts, wo man von den Zinsen leben kann, aber es ist für nen Mensch zwischen – ja wann beginnt man zu schreiben – zwischen sagen wir mal 20 und 32 ein schönes Stück Geld. Interessanter ist sicher die Vernetzung mit den Zirkeln der Neuen Musik und auch Musikpublizistik, die dadurch erreicht wird, Man kann Programmhefte betexten fürs Münchener Kammerorchester, man kann Lectures halten beim Musikprotokoll in Graz, man kann in der neuen musikzeitung Feuilletons, Kritiken oder Artikel unterbringen, all das ist sozusagen auch das Preisgeld und das ist kein Papiergeld sondern das ist (ähmmmmm) Mitreden, Mit(ähh)schreiben im Konzert eben der Musikkritik und wir erhoffen uns eben längerfristig davon auch, dass man raus aus den Fachzeitungen, aus den Fachzirkeln eben auch in die allgemeine Tageszeitung, solange es sie noch gibt, auch Blogs – unser jetziger Preisträger ist Mitbegründer eines sehr gut besuchten Blogs – also man darf da nicht so bei dem engen Begriff der Tageszeitung als meinungsbildend, allein meinungsbildend bleiben, sondern überall da, wo öffentlich berichtet wird, kritisiert wird, Meinung gemacht wird, da sollen unsere Preisträger mit dabei sein. #00:05:42-9# Letztendlich kann man erst, wenn man 4, 5 Preisträger auch sagen, obs ne gute Sache ist oder nicht. #00:05:48-6#
Musik: Jakuber, Dort, Klangforum (1:47) (unter Text ein- und ausblenden – Track Jakuber 2)
Autor: Die Jury, die über die Preisvergabe zu entscheiden hatte setzte sich aus sieben Personen zusammen, die in keinerlei direkten Beziehung zu den Partnern stehen. Die Entscheidung der Jury sollte vollkommen unabhängig sein. Zu den Jurymitgliedern zählen Wolf Loeckle, Eleonore Büning, Carola Naujocks, Jürgen Christ, Peter Hagmann, Andreas Dorschel und die Komponistin Johanna Doderer. Gesucht wurde ein Musikpublizist oder eine Musikpublizistin, die zum Zeitpunkt des Ausschreibungstermins das 32. Lebensjahr nicht vollendet hatte. Eingereicht werden konnten Beiträge aus den Bereichen Print, Audio, Online und Film, respektive Fernsehen.
O-Ton 11: Wolf Loeckle-Interview: 00:02:10-1 20 Bewerbungen sind eingegangen, das fing etwas tröpfelnd an, aber dann, nach wir noch mal öffentlichkeitswirksam nachgelegt haben, waren es dann doch 20 immerhin (und das war (sagen wir mal) insgesamt auf einem guten bis sehr guten Niveau. Aber es gab auch ein paar Ausfälle, von Menschen, die nicht aus dem deutschsprachigen Gebiet stammen, die versucht haben sich dafür zu bewerben. Sowas, wo es letzten Endes ja um die Qualitätssteigerung der deutschen Sprache geht, keine Chance hatte, das liegt in der Natur der Sache.) 00:02:40-9
Der Preisträger
Autor: Schwer zu sagen, ob man eine Teilnehmerzahl von 20 als hoch oder niedrig erachten kann. Natürlich ist die Zahl nicht unwichtig, denn ein hohes Niveau in der Qualität der Musikpublizistik ist ebenso entscheidend wie die Vielfalt der Herangehensweisen und die Streuung über die Szene. Erhalten konnte den Preis dennoch nur eine Person. In der Jury hatte jeder seine Favoriten, schlussendlich konnte man sich dennoch auf einen Preisträger einigen:
O-Ton 12: Loeckle-Laudatio: 00:12:29-7 Auf Patrick Hahn konnten wir uns aus Überzeugung verständigen. Seine profunde Offenheit neuen Inhalten und Medien gegenüber, die keineswegs irgendein anything goes zum Fundament hat, kann beispielgebend wirken. Die kenntnisreiche Ideologiefreiheit beim Verfertigen seiner analysierenden und wertenden Gedanken übt einen Sog aus. Die tiefe, ernste, leicht lesbare Sprache bringt den der Freude darüber innewohnenden Erkenntnisgewinn ans Tageslicht. Wie viel Arbeit ein leicht lesbarer Artikel macht, der trotzdem nicht leichtgewichtig daher kommt, das kann nur der in Echt ermessen, der diesen Weg der Leiden aus eigenem Erleben und Erfahren bestens kennt… Wenn also Einer die Angelegenheiten der Musik so scheinbar leicht – das Leichte ist bekanntlich das Schwerste (und nicht nur Mozart wusste das) -; wenn Einer das also so leicht und transparent und verantwortungsvoll und lustvoll, so phantasievoll, spannend und in sich stimmig und musikalisch vor Augen und in Hirne bringt, dann hat er den Preis (- Dank an die Ausloberin Anke Kies, Dank an die Schneider-Forberg–Stiftung und Dank an Montblanc und Dank an alle Partner -) wahrhaft verdient. Herzlichen Glückwunsch an Patrick Hahn. 00:13:40-3
O-Ton 13: #00:01:44-1# PH: Ich fühle mich total gebauchpinselt. Es ist einerseits natürlich eine schöne Auszeichnung, aber zum anderen ist es vor allen Dingen eine Arbeitsaufforderung. Ich bin ja jetzt in Schwaben zuhause und da weiß ich, dass der Weg zur Seligkeit über die Arbeit führt, und da so viele Leute hier mit im Boot sind, die jetzt alle Texte von mir wollen, und ich vorhin versprochen, dass ich allen zusagen werde, fühle ich mich geschmeichelt und habe aber schon ein bisschen Angst vor den vielen leichten Worten, die ich jetzt in so kurzer Zeit schreiben muss. #00:02:20-0#
Autor: Viel geschrieben und gemacht hat Patrick Hahn auch zuvor schon. Er ist längst kein Unbekannter mehr. Eine große Anzahl von Rundfunkbeiträgen für den Westdeutschen Rundfunk und den Südwestrundfunk stehen ebenso auf der Habenseite wie Kritiken in unterschiedlichen Zeitungen und Magazinen. Andreas Kolb von der neuen musikzeitung über den Preisträger Patrick Hahn und die Entscheidung der Jury:
O-Ton 14: Kolb: #00:16:52-5# Es ist natürlich ein würdiger Preisträger, es ist (ähmmm) . Er ist ja der erste Preisträger des Reinhard-Schulz-Preises und weiß man noch nicht genau, wie das Profil dieses Preises ist. Für die einen war er sozusagen schon zu etabliert, der ist ja schon im Geschäft, für die anderen war er vielleicht noch – ja wenn man es aus der Sicht der neuen Zürcher Zeitung sieht und so weiter – ein Beginner. Ich glaube, dass die Jury sich ganz gut entschieden hat und freu mich sehr für ihn. #00:17:30-1#
Autor: Programmhefttexte, Beiträge für CD-Booklets, Moderationen bei vielen Veranstaltungen, vor allem im Raum Nordrhein-Westfalen, Online-Aktivitäten in Blogs wie rebell.tv oder dem Bad Blog Of Musick gehören in Hahns Portfolio.
Zuspiel: [Track ???] Ausschnitt aus dem Feature von Hahn: 00:03:53-4 Ein Eldorado für Subkulturen soll das Internet nach wie vor sein. Begibt man sich jedoch auf die Suche nach Musikinhalten, so gelangt die Suche schnell an ein Ende. Oder direkt in den Warenkorb. Die Revolution des Internets lag bislang kaum in einer Erneuerung der Inhalte, das Umstürzlerische liegt in der Art, sie wahrnehmen zu können. 00:04:19-2
Autor: Patrick Hahn, geboren in Zürich, verbrachte seine Kindheit und Jugendzeit in Hagen und zog dann zum Studium der Musikwissenschaften, Philosophie, der deutschen Sprache und Literatur nach Köln, wo er sich in die Szene langsam aber stetig in die Szenen eingearbeitet hatte. Dort entwickelte sich vor allem im Zusammenhang mit Veranstaltungsreihen zur Neuen Musik beim WDR seine immer tiefer gehende Zuwendung zur Neuen Musik. Da kam eines zum anderen. Der musikalische Haushalt, sein Vater ist Sänger, war sicher kein Schaden. Heutige Biographien sind immer mehr solche Patchworks aus Zufällen. Manchmal muss man einfach in den Fluss steigen und sich mitreißen lassen.
O-Ton 15: Hahn: 00:12:07-8 Hallihallo, wir verbringen Lebenszeit in Konzertsälen, wir trennen uns von unseren Familien, von unseren Freunden, machen abstruse Reisen, um irgendwelche Musik, von der wir noch nicht einmal wissen, ob sie toll wird, in Turnhallen zu hören, oder in irgendwelchen Gemeindehallen, die meistens auch noch eine furchtbare Akustik haben (oder so). Man kann das wirklich nicht als hedonistisch bezeichnen, was man macht, wenn man sich mit Neuer Musik beschäftigt. Das ist ziemlich trockenes Brot häufig. (Aber man macht das aus einer Liebe zu ….) 00:13:08-2 Man macht das aus einer Liebe und einer Neugierde zu einer Welt, die einem Welten eröffnen kann. 00:13:16-8
Autor: Dabei war Patrick Hahn sich gar nicht sicher, ob er sich für diesen Preis überhaupt bewerben sollte.
O-Ton: 00:16:20-0 Ich habe zuerst gar nicht gewusst, ob ich mich hier bewerben soll, weil es ist ja ein Preis, wo man sich bewerben muss, und ich habe ja in den letzten Jahren einen kleinen Seitenwechsel vollzogen: Meine Arbeit besteht nach wie vor darin, Musik zu vermitteln, aber nicht mehr aus der Sicht eines reinen Beobachters, sondern aus der Sicht jemandes, der auch Musik mit produziert, Musik mit veranstaltet. Und das verändert natürlich die Möglichkeiten, kritisch tätig zu werden.
Musik: Lercher … : 01 (0:57)
Autor: Gegenwärtig arbeitet Patrick Hahn als Dramaturg für Oper und Konzert an der Stuttgarter Oper, hat die Seiten gewechselt.
O-Ton 16: PH-Bar: #00:03:43-3# Ja, deswegen lege ich ja auch Wert darauf, dass dieser Preis (ähm) für zeitgenössische Musikpublizistik ausgelobt worden ist. Ich kann als Kritiker im Grunde nicht mehr arbeiten, weil ich ja selbst auch veranstalte (und) oder zumindest auch an Veranstaltungen mitwirke. Daher kann ich nicht mehr so viel wertend unterwegs sein. Aber der große Teil der zeitgenössischen Musikpublizistik ist ja sowieso in der vermittelnden Arbeit davor und danach (findet der statt. Und auch das, was man als Kritiker …). #00:04:25-6# Kritiker, die sich heute immer noch einzig und allein als Türhüter zur Musikgeschichte verstehen, die sind meiner Meinung nach schief gewickelt weil: Der Kritiker hat heute auch eine wahnsinnig wichtige vermittelnde Funktion, (was heißt heute, damals hatte er es auch schon.) Das meiste Wissen, was wir über die Vergangenheit (ähm) haben, haben wir doch aus Musikkritiken, wenn nicht gerade aus Vorworten zu Partituren oder dergleichen. Insofern müssen wir uns einfach dessen bewusst sein, dass in einer Zeit, wo wir immer weniger Platz haben zu schreiben, dass wir da auch umso genauer schauen, wie wir diese Musik, die wir alle lieben, an den Mann und an die Frau bringen. #00:05:06-8#
Autor: Seine Aufgabe als Musikpublizist und –kritiker sieht er sowohl selbstkritisch wie produktiv. Kritik, die biografiezerstörend wäre, kommt für Hahn nicht infrage. Darüber hinaus warnt er vor einem Missbrauch der Musikkritik durch die Kritiker:
O-Ton 17: #00:09:48-6 Aber wie viele Kritiker vernichten auch wirklich Neugier auf etwas, in dem sie vermeintlich ihre objektive Meinung kund tun. Auch da geht es darum, dass man, glaub ich, immer so schreibt, nicht, dass man nur einem Interpreten oder einem Komponisten in die Augen schauen kann, sondern dass man auch letztlich der Kunst, der man seine Arbeit überhaupt verdankt, auch in die Augen schauen kann. Weil, letztlich schreiben wir alle natürlich auch an der Neuen Musik mit: Wir schreiben daran mit, dass wir ein Interesse für neue Musik wecken können, dass es überhaupt Menschen, die vielleicht noch gar nicht damit Berührung gekommen sind, sich auch für etwas interessieren. Und bei aller kritischen Distanz, die wahren müssen, und bei aller Pflicht, die wir haben, über das, was wir erleben eben auch Bericht zu erstatten, finde ich es doch wahnsinnig wichtig, dass wir immer zeigen, dass die Auseinandersetzung mit der Neuen Musik, mit dem Neuen, dass es ein Weg ins Offene ist und dass es ein spannender Weg ist, den zu gehen sich lohnt, auch wenn man dabei natürlich Enttäuschungen erleben kann. 00:11:13-9
Autor: Das klingt schon eher nach alter Hase als nach Nachwuchs. In der Tat wirkt Patrick Hahn auf eine sehr herzliche Weise den Dingen und den Menschen – und natürlich der Musik – zugewandt. Da steht er auf der Bühne, oben Jacket, offenes Hemd, Stoffhose und am Fußende rote Turnschuhe, aber mit Haltung und freundlich lächelnd, am Mikrofon. Seinen ersten mit dem Schulzpreis verbundenen Auftrag erfüllt er schon am Tag nach der Preisverleihung. Das „musikprotokoll im steierischen Herbst“ hat ihn mit einer Micro-Lecture zum Thema „Enharmony“ beauftragt. Patrick Hahn brannte ein irrwitzig-kapriolenschlagendes sprachliches Feuerwerk ab. Hier bewies sich nachdrücklich, dass Musik oder musikalische Fragen zur Sprache zu bringen für ihn auch heißt, als Musikpublizist selbst Kreativer zu sein. Genauso andere zu überraschen, wie man selbst überrascht werden will. Da darf die Vorlesung durchaus und gerne selbst zu einer Performance werden.
O-Ton 18: Ausschnitt aus der Micro-Lecture: #00:07:15-1# wahr – / wahr war / war das wahr / wahr da was wahres / wahr das was wahres wahr da / wahr da was / es war da. / dis war da. / dis war es. / es war dis. / as gis zeichnet / war wahr.
Dass Verwechslung ausgeschlossen ist, beweist auch eine Kurzgeschichte von Thomas Bernhard. In seiner Erzählung vom Stimmenimitator auf dem Kahlenberg imitierte dieser „vollkommen andere mehr oder weniger berühmte Stimmen als von der chirurgischen Gesellschaft. Wir durften auch Wünsche äußern, die uns der Stimmenimitator bereitwilligst erfüllte. Als wir ihm jedoch den Vorschlag gemacht hatten, er solle am Ende seine eigene Stimme imitieren, sagte er, das könne er nicht.“
Ich ist eben immer ein Anderer.war das was wahr war wahr / das was da da war / war das was wahr war / war da was, / war das, was wahr war, da? / war das, das was wahr war, wahr da? / war da da, was da war? / da war da das wahre / das wahre war da
Ein Anagramm von Enharmonik lautet Ohrenkamin.
Dös wors. #00:08:26-6#
Musikpublizistik heute
Autor: Das Leben eines heute agierenden jungen Musikpublizisten sieht jedoch in vielem allein technisch anders aus, als es sich zu Zeiten von Reinhard Schulz noch darstellte. Die klassischen Medien: Zeitung, Rundfunk, Fernsehen und Film verlieren ihre Monopolstellung in Sachen Meinungsbildung und Urteilskraft-
O-Ton 19: Kolb: #00:08:19-1# Überhaupt befindet sich ja die ganze Medienwelt im Wandel, man spricht ja davon, dass das ein ähnlich starker Umbruch ist wie zu Zeiten von Gutenberg. Insofern darf man da den Musikjournalisten nicht zu viel auf die Schultern bürden. Die sollen einfach ausprobieren. #00:08:32-8#
Autor: Der Umbruch trifft die sogenannten alten Medien in ihre Fixierung, wie man sie aus dem letzten Jahrhundert kennt. Das Wort von der Trimedialität macht die Runde.
O-Ton 20: 00:05:34-1 WL: Dieser Preis hat ja auch mit der Trimedialität zu tun, die heute ja allerorten angesagt und angefragt ist, was ja auch einen gewissen Sinn macht oder sogar sehr viel Sinn macht. Wer liest heute noch Zeitung. 00:05:49-6
Autor: Neben die Bereiche Print, Audio und Bild tritt immer mehr die Online-Welt ins Zentrum der publizistischen Öffentlichkeit. Blogs, Facebook, Twitter, YouTube und Co beherrschen immer mehr die Lebenswelt der nachwachsenden Generationen. Seit 2008 veröffentlicht Patrick Hahn im Bad Blog Of Musick zusammen mit Moritz Eggert, Arno Lücker und Alexander Strauch seine Gedanken auch dort. Zuvor hatte er bei rebell.tv Erfahrungen gesammelt. Patrick Hahn hat keine Angst vor dem Internet als Ort der Musikpublizistik. Er erinnert sich an den Anfang des Bad Blogs Of Musick und die Zusammenarbeit mit Moritz Eggert:
O-Ton 21: Hahn-Bar: #00:06:31-5# Als er mit dieser Idee kam, (wusste ich) erschien es mir sofort als eine ganz tolle Möglichkeit, ein neues Zwischenfeld zu eröffnen: Zwischen dem gedruckten Wort, dem, wie ich finde nach wie vor ein ganz hoher und anderer Wert zukommt als dem im Internet publizierten Wort, was mehr so eine öffentliche Müllhalde ist. Ganz im Sinne, wie Rainald Goetz einmal ein Projekt gemacht hat, Abfall für alle, wo er die Notate eines Jahres, die er in einem Weblog gesammelt hat, auch in einem Buch gedruckt hat, so kann man im Internet auch mal was ins Unreine schreiben, was man später vielleicht auf eine andere Art weiterdenkt, wo man aber auch über die Alerts und wasweißichauch Menschen ganz direkt erreichen kann, direkter als mit manch einer Zeitungsrezension, die über den Pressespiegel dann zwei Wochen später zu jemandem gelangt. Das ist also ein neues Feld, was ich ganz aufregend finde, spannend finde, auch zu beobachten: Wie verändert sich das eigene Schreiben, wenn man eben befreit ist von dem Druck der Zeile, wenn man weiß, ich kann jetzt auch ins Unreine denken, auf die Gefahr hin, dass es einfach ein langer Text wird, weil, ich habe keine Begrenzung, ich kann auch anders mit Bildern umgehen, und ich habe keinen so langen Weg mehr zwischen Denken und Publizieren. (Auch das macht das iPhone ja einfacher.) #00:08:04-8#
Autor: Ob das Internet für die Musikpublizistik Fluch oder Segen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Robert Höldrich von der Kunstuniversität Graz sieht die Entwicklung zwiespältig.
O-Ton 22: Höldrich: 00:07:16-2 Die Frage der Beherrschung von verschiedenen Medien ist glaube ich eine, die für den Nachwuchs, für junge Leute, wirklich wichtig ist. Ich sehe aber, dass die Generation derer, die unter 30 sind, wirklich digital natives sind. 00:07:40-0 (Also das heißt, die …..) 00:07:49-4 Ich glaub‘, die Schwierigkeiten, die eine Generation darüber hat, sich mit neuen Medien irgendwie zurechtzufinden, die haben die Jungen nicht. Auf der anderen Seite muss man natürlich sagen, dass (ähm) ein Nachdenken und ein Schreiben und ein Sprechen über Musik, das braucht Zeit und das braucht Raum. Da gibt es manche Formate, Medienformate, aber durchaus auch Radioformate, die sind einfach zu kurz (davon) dazu. Wir sind der Situation, dass manche Kulturbeiträge im Radio zwischen 45 Sekunden und 90 Sekunden dauern, das ist nicht die Plattform, um sich in Ruhe mit Werken auseinanderzusetzen. Um in diesem Dreieck zwischen Komponistinnen, Musikerinnern und dem Publikum braucht es die Person, die das zur Sprache bringt, was eigentlich als schweigendes Wissen in der Musik drinnen liegt, und dazu braucht es Zeit und braucht es Platz. Das heißt, es wird wahrscheinlich bis auf wenige Spartenkanäle nicht möglich sein, für große zeitgenössische Aufführungen oder Festivals stundenlange Sendeformate zu platzieren, damit muss man wahrscheinlich einfach umgehen, und muss man auch realistisch sein, es wird nicht gehen. Und ich glaube nicht, dass Twitter und Blog die geeignete Plattform sind, um lange, etwas diffizile und verschiedenen Strängen laufende Gedanken auszubreiten. 00:09:17-6
Autor: Aktuelle zeitgenössische Musikpublizistik wird vielleicht in Zukunft vor allem die Aufgabe zukommen, in der zunehmenden Medienvielfalt, Wege zu weisen – nicht einfach in der bloßen Aufzählung dessen, was stattgefunden hat und nicht dadurch, dass man der Zeit nach dem Maul redet.
Fegefeuer der Eitelkeiten und Konvention
O-Ton 23: Hartberger: 00:05:01-7 Also ich glaube nicht, dass es heute die Aufgabe eines jungen Publizisten ist, sich im Bestehenden umzusehen und darin irgendeinen Platz anzustreben oder einzunehmen, es sein denn, diese jungen Leute sind zufrieden mit dem was sie vorfinden, was ich nicht hoffen möchte. Ich denke, es (wird sich) werden sich wiederum einzelne finden, wie der Reinhard Schulz, die selbst formulieren, worum es geht, und worum es zu gehen hat, und dafür finde ich diesen Preis einen sehr sehr schönen Ansatzpunkt. 00:05:34-0
Autor: Sven Hartbergers Plädoyer für den Erhalt einer autonomen Kunst- und Musikkritik entspricht der Gedanke, der dem Reinhard-Schulz-Preis für zeitgenössische Musikpublizistik zugrunde liegt. Nach Möglichkeit den Erfahrungsschatz zu vermehren, Kontakte zu Szenen und Akteuren der Neue Musik herstellen – dabei sich anzuschmiegen und Distanz gleichzeitig zu wahren.
O-Ton 24: 00:17:30-2 WL: Es hängt allgemein gesehen, wie immer und wie in allen Institutionen von den einzelnen Personen ab. Wenn eine Institution nur aus angepassten Zeitgenossen besteht, die alles nix anderes als den Mainstream im Sinn haben, halt möglichst kein einziges Sandkkorn im Getriebe haben wollen, dann wird das Produkt so sein, wie es an vielen Stellen ist. Es wird langweilig aus dem Äther quellen, und dümpelt im Fall der Fälle bei niedrigen Quoten, die heute mehr oder weniger über allem stehen, so durch den Äther dahin. Es gibt da und dort sicher noch den einen oder anderen Menschen, der ein bisschen eine andere Einstellung hat, zu all diesen Dingen und – wie gesagt – es hängt an der Einzelperson. Die Institutionen sind immer noch vorhanden und die gesetzlichen Regelungen sind auch noch nicht außer Kraft gesetzt worden, also, wenn einer wirklich Mut hat und wenn einer wirklich Bock hat, und wenn einer wirklich was bewegen will, dann denke ich, ist auch heute noch im öffentlich-rechtlichen Betrieb jedenfalls sehr viel möglich und dazu sollte man die Menschen motivieren und dazu ist letzten Endes auch der Reinhard-Schulz-Preis gedacht – von einer anderen Seite her, Mut zur Qualität, Mut zum Mut, Mut zum Infragestellen – also all diese Tugenden, die so negativ klingen, die aber eigentlich das Salz in der Suppe der Kreativität sind – um das alles zu fördern. 00:18:56-2
Lothar Knessl:
O-Ton: 00:10:07-1 Dadurch, dass auch in der Musik in der Menge immer mehr wird, weil, es gibt immer mehr Menschen, daher auch immer mehr Komponisten und immer mehr Musikerinnen und Musiker, ist auch das Verhältnis von nicht in der oberen Kategorie stehenden Produkten Anführungungszeichen „Produkten“ zu Ungunsten dieser Hochstehen, weil sich eben in der Verbreiterung, der Verflachung die Menge der anderen etabliert, und eben gültend wird. Und das ist nicht immer ein Vorteil. Das ist aber eine Sache eben der Publizistik oder der Selektion – oder speziell auch der Ensembles oder Ensembleleiter und Intendanten – dafür auch ästhetisch zu sorgen – es muss ja nicht einseitig sein – dass man da unter einem gewissen Level einfach nicht runtersteigt, und man sollte natürlich berücksichtigen, wenn man den Level halten will, muss man unter Umständen die Kapazität haben, eine Durststrecke von zwei, drei Jahren durchzustehen, bis sich das herumspricht, dass man da hingehen soll. Und dann gehen die auch hin. Auch wenns das obere Niveau ist. 00:11:20-9
Ins Offene, in den Sog:
Autor: Die Art und Weise, wie Patrick Hahn die Dinge angeht und mit welchem Enthusiasmus er dabei ist, ist wirklich ansteckend. Es ist die Reaktion auf die Musik, die sich in unserer Zeit ausdrückt und manchmal einem sicher auch die Tür vor den Ohren zuschlägt. Die aber häufig genug mindestens einen Spalt offen lässt, in den man seinen Fuss schieben kann. Und manchmal ist sie eben geradezu magnetisch. Die Musikpublizisten geben Meldung – in jedem Medium, in jeder Form.
Musik: Jakuber: Dort, Klangforum … [Track 03]
O-Ton 25: Hahn: 00:28:57-7 Es ist eine Art Strudel, ein Maelstrom, der einen hineinzieht und wo man sich einfach nicht wehren darf, hinabgezogen zu werden und eben ab und zu Flaschenpost nach oben zu schicken. 00:29:13-1
Musik: Jakuber: Dort, Klangforum … [Track 03]