13. Dezember 2024 Guten Tag, everybody

Maschinen, Computer, Berechnungen und die Sinne

Konfliktlose Technik in Zeiten permanenter Konflikte · 11. Tagung der „projektgruppe neue musik bremen“

Auf der 11. Tagung der „projektgruppe neue musik bremen“ im letzten Dezember standen Fragen des maschinischen Denkens und Komponierens im Zentrum von Diskussionen und Konzerten. Was passiert eigentlich zwischen Komposition und Realisation, wenn man Maschinen dazwischen schaltet? Was passiert mit dem kompositorischen Denken, verändern derartige Produktionsabläufe das Produzierte, die Musik?

Beinahe naturgemäß stehen bei der Verhandlung dieses Themas technische Gerätschaften im Mittelpunkt: Vom Tonband (allgemeiner von Tonaufzeichnungsgeräten) über klangverarbeitende Geräte wie mit entsprechender Software ausgestattete Computer oder Musikinstrumenten-Roboter bis zur Verfahrensweise musikalischen Denkens durch das Komponieren selbst.

Nicolas Anatol Baginskys Musikroboter schauen aus wie TÜV-unterversicherte-Tanzbären aus Stahl. Er möchte den „Computer in die Realität zurückholen“, in diesem Falle also irgendwie auch augenscheinlich machen. Das mag ja bisweilen komisch wirken, dennoch steckt darin eine logische Folgerung. Während in anderen Produktionen irgendwie Klänge auf sonderbare Weise (per Kabel) zu einem Verabeitungs- und Umformungsgerät gesendet werden und von dort aus über schwarze Kästen (Lautsprecher) den Raum beschallen, steuert Baginsky Musikmaschinen an, die dann wieder analoge Klänge produzieren: eine maschinische Humanisierung von Maschinen. Das wird dann irgendwie zu einem doppelten Vexierbild.

Am ersten Abend trat schon John D.S. Adams aus Toronto auf mit David Tudors „Neural Synthesis No.16“ für Synthesizer. Foto: Hufner
Am ersten Abend trat schon John D.S. Adams aus Toronto auf mit David Tudors „Neural Synthesis No.16“ für Synthesizer. Foto: Hufner

Anders in Georges Aperghis’ Machinations, einem Musiktheater-Projekt von 1999/2000 bei dem reale Menschen in einer durchaus undurchschaubaren Verbindung zu Regie und Klangverarbeitung stehen, beziehungsweise vor und in Videoprojektoren agieren. Das alles spielt einerseits mit ganz einfachen Darstellungsmitteln, die aber soweit von den vier Musikerinnen (Sänger und Sprecher und Schauspieler zugleich) direkt in den Beobachtungsraum der Zuhörer und Zuseher geraten. Das Ganze ist nicht ohne Ironie und Witz, sodass auch das Publikumsfeedback schließlich zum Werk zu gehören scheint: Kompliziert und einfach zugleich. Auf andere Weise einfach, aber zugleich auch trivial wirkt dagegen Bernhard Langs „DW6b“ für E-Gitarre und Live-Elektronik. Der Titel (DW), ein Akronym aus „Differenz-Wiederholung“, zeigt das Spielprinzip an. Es handelt sich um eine neue Version von repetitiver Musik, wobei die Reflexion durch die Live-Elektronik hohl blieb als eine nur maschinische Reaktion – und mochte da auch ein Mensch an den Knöpfen des Computers noch so sehr rummachen.

Interessanter ist da schon die Lösung des jungen österreichischen Komponisten Winfried Ritsch. Seine „Monologe VI“ – er nennt sie im Untertitel ein „Konzert für Cello, Mikrofone, Computer, Lautsprecher und Raum“ – sind längst schon auf einer anderen Stufe maschinischer Musik. Durch die Implikation von technischen Geräten und Klangerzeugern in einer bestimmten Umgebung (dem Raum) wird die Komposition selbst strukturiert. Der Initialklang (der Cellist stößt an die Schnecke des Cellos) wird zur Rahmensubstanz der Komposition selbst. Die zu Anfang gestellten Fragen nach den Veränderungen im kompositorischen Prozess sind nach diesen Erfahrungen mit einem klaren Jein zu beantworten. Es gibt nicht ein einziges sondern zahlreiche durchaus sehr verschiedene Produktionsabläufe und damit auch jeweils verschiedene Problematiken von Arbeitsweisen mit musikalischen Maschinen. Das Verhältnis zwischen den Sinnen und der Technik jedenfalls scheint im Prozess einer Neubewertung. Die Technikkritik der 50er- und 60er-Jahre, die noch sehr unter dem Einfluss der atomaren Bedrohung der Menschheit stand und damit die gesellschaftliche Beziehung zwischen Mensch und machbarer Technik, wirkt bei vielen gegenwärtigen Autoren und Komponisten wie ein verblichenes Grabtuch der H-Bombe.

Manche auf der Bremer Tagung vorgestellten theoretischen Konzeptionen hinterlassen den Eindruck neuer prometheischer Potenzlastigkeit. Sie geben vor, Technik wieder beherrschbar zu halten indem sie wie bei Johannes Goebel einfach den Kasten der technischen Verfahrensweisen wie in einer Black-Box aus den Sinnen heraushalten, wenn Goebel zum Beispiel sagte, dass der Computer leerer sei als jede Maschine zuvor.

Ein Bit hat nun mal keinen Sinn sondern ist, was es ist: Nichts, eine leere Information. So einfach kann es manchmal sein. Kein Wunder, dass auf dem Schlusspodium Johannes Goebel und Bernhard Lang auf der einen und Mathias Spahlinger auf der anderen Seite bisweilen heftig aneinander geraten sind. Spahlingers Frage nach der „Ordnung von Ordnung“ musste bei den neuen Technikern der sinnentleerten Technik auf taube Ohren stoßen. Sie konnten nicht verstehen, wie man eine solche Frage überhaupt stellen kann.

Nun, Fragen stellen muss man, sonst machen sich die Antworten wie die Kompositionsverfahren ungeleint los und entwickeln wieder eine Dynamik, die schon das Reflektieren als fraglos sinnlos dastehen lassen.

Die Tagung der agilen „bremer projektgruppe“ warf somit wieder einmal mehr Probleme auf als überhaupt verhandelbar sind. In Kombination mit zahlreichen älteren Stücken von Holliger, Xenakis oder Spahlinger ist eine derartige Tagung in der Lage, auch Musik in die Reflexion wie Pfeile zurückzuschießen. Diese Bremer Tage des Hörens und Disputierens sind unverzichtbar.