Zu Beginn dieses Monats sendete das musikmagazin taktlos wieder einmal aus Studio 12 des Bayerischen Rundfunks zum Thema „Bildungspolitik ohne Musik“ und hatte gar den neuen Kultusminister Bayerns zu Gast – Name habe ich wieder vergessen.
Durfte ich mir also wieder etwas ausdenken. Konnte es leider aber nicht selbst einsprechen. Heute bin ich noch ein wenig schlauer. Habe gerade Liessmanns „Theorie der Unbildung“ durch. Lange schon nicht mehr so viele Notizen an den Rand eines Buches gemacht.
Jetzt aber der Beitrag:
Es ist zwar keine Schlagzeile in der BILD-Zeitung, trotzdem haben wir sie: die Bildungskatastrophe in Deutschland. Im internationalen Vergleich ist das Bildungssystem in Deutschland bestenfalls im Mittelmaß. Die deutsche Bildungsmisere hat ihren Grund allerdings nicht bei den Kindern, Schülern und Studenten – die sind vielmehr das Resultat -, sondern bei den Erwachsenen, die permanent das Bildungssystem reformieren: kaputtreformieren.
Wie kann man ernsthaft von positiven Entwicklungen im Bildungssystem sprechen, wenn man die Schulzeit verkürzt und teilweise starr am dreigliedrigen Schulsystem festhält, wenn man die Studiengänge auf Bachelors als Norm kastriert und gleichzeitig in vielen Bundesländern Studiengebühren einführt? Das kann doch nur Politikern einfallen, die vor umfassend gebildeten Menschen sich sehr zu fürchten scheinen.
Wenn man dann sieht, dass beim sogenannten Dresdner Bildungsgipfel vor zwei Monaten mit des Bundeskanzlers Segen „Bildung an sich“ auf die Bereiche Naturwissenschaften und Sprache reduziert wurde, dann muss man sich ernsthaft fragen, welches Menschenbild die politische Ökonomie der Bildung gegenwärtig verfolgt.
Denn durch die einseitige Bevorzugung von Verfügungswissen gegenüber Orientierungswissen werden die Menschen nur einseitig gefordert und gefördert. Wahrscheinlich taucht der Begriff des Menschen in den Gedankengängen der Politiker gar nicht mehr auf, sondern wird durch den der „amorphen Bildungsmaterie“ – analog zum Begriff des „Humankapitals“ oder des „Stimmviehs“- ersetzt.
Kunst, Musik, Literatur, Tanz und Sport kommt in diesen Koordinaten bestenfalls der Status pädagogischer Kompensation zu: Damit die Menschen nicht ganz verkümmern und sie Not-Rezeptoren für Produkte der Kulturindustrie behalten. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um eine politisch verordnete Deprivation, eine institutionell durchgeführte Zwangsverkümmerung von Menschen. Bildungspolitik ohne Musik? Das ist Bildungspolitik gegen die Menschen.
- taktlos 129: Bildungspolitik ohne Musik. 7.12.2008