Im Rahmen der Graduiertenschule der Universität der Künste Berlin (UdK) kam es dieses Wochenende zu einer Werkschau im Amerika-Haus, direkt am Bahnhof Zoologischer Garten. Mit dabei eine Aufführung der „Limitinage #4“ von Ketan Bhatti – einem musikalischen Multitalent, das zwischen Pop, Electro, Jazz und Neuer Musik frei um sich her schwenkt. Am Freitag war der „Neue-Musik“-Komponist in ihm dran. Bhatti probiert dabei eine neue Form der Podiumsdiskussion, liest man. Mit Musik und mit Interaktion und mit „Publikum“. Zur Debatte gestellt wurde die Antrittsvorlesung des Professors für „Verbale Kommunikation“ Thomas Düllo.
Der Professor sprach und sprach und sprach. Über die narrative Drift. Über dicke Bücher. Dazwischen immer eingewoben, Musik von Bhatti mit dem Ensemble Adapter (Harfe, zwei Baßklarinetten, Perkussion + allerlei elektronisches Zeug). Hin und wieder folgten die Einsätze bestimmten Absprachen und die Live-Elektronik setzte dazu ein. Band die Worte des Professors fest. Ein Live-Vortrags-Oratorium, etwas in der Art. Zwischendrin die Einschaltung eines zweiten Raumes, der hinter der Bühne im Kinosaal des Amerika-Hauses, projeziert wird. Da unterhalten sich drei weitere Personen (ein Philosoph, ein Professor für strategisches Marketing und eine Frau) über den Text des Professors, begleitet von zwei Musikern (an Cello und Saxophon). Sie geben den Ton zurück, es kommt zum Gespräch zwischen Leinwand und Bühne. Die musikalische Podiumsdiskussion hat Löcher. Da schweigen die Professoren plötzlich. Und nur die Musik bleibt. Eine zerbrochene Musik, die nur scheinbar ungerne auch einmal in überschaubar kurze in repetitive Muster flüchtet. Und manchmal versteht man sich nicht und das wird dann komisch. Das Publikum muss kichern.
Es hakt. Die Musik hakt. Sie steht nicht für sich oder gerade das. Sie steht. Der Text steht für sich und driftet selbst in getakteten Abschnitten vor sich hin und steht dann für den Text, der sich als Text darstellt. Gut eine Stunde lang.
Es bleibt alles ein Konzert. Eine Performance von wissenschaftlicher Sprache. Oder ein Couplet aus der Operette „Frieder Butzmann und die Brandstifter.“
Graduale12 – es handelt sich um die besondere Form der Graduiertenförderung an der UdK. Das Amerika-Haus ist vollgestellt mit Installationen, in denen in der gefühlten Überzahl die Monitore „flackern“ – auch wenn heute keine Monitore mehr wirklich flackern. Herabhängende Kopfhörer wollen benutzt werden. Oder lieber nicht? Das Publikum zur Eröffnung, zu der auch der Präsident höchstpersönlich einleitende Worte bereitlegt, jung, selbst auf dem Weg der Graduierung vielleicht. Vernissagen Publikum der künstlerischen Akademie. Das Amerika-Haus soll geortet werden als Stelle „zwischen Stadt und Elfenbeinturm“, sagt der Präsident. Eine Galerie der Experimente, meint die Hochschulleitung.
Mir wird das langsam langweilig dabei und die Vernutztheit der Bildschirme wird immer umfangreicher. Die Leuchtkästen der Bildschirme drängen sich immer mehr auf. Sie wollen einem etwas sagen, selbst wenn es nichts ist. Sie müssen es sagen. Und man muss zuhören und zusehen. So wie auch dem Professor am Mikrofon auf der Bühne, der seinen Text liest in dem es nur so wimmelt an Verweisen zu Analysen aus der Welt des philosophischen Denkens. Von Heterotopien bei Focault bis zu Hinweisen bei Deleuze und Lukrez. Alles driftet einem so direkt in den Verarbeitungsraum zwischen den Ohren. Und dort schlägt es Purzelbäume, ehe es sich mit einem Rutsch verabschiedet.
Die einen schwenken dabei ihr Weinglas. Die anderen … die bleiben kleben an den Worten des Menschen, der sich mit verbaler Kommunikation auskennt. Die Musik hilft einem dabei nicht weiter. Niemand hilft einem dabei weiter. Man kann nur sich selbst helfen. Aber will man das überhaupt? Und warum?
Der Philosoph, der „eingebildet“ wird sagt tiefgründiges: „Alles Denken ist eine Gehen.“ Manchmal, denke ich auch „ein Weggehen“ – wenn man nicht immer die Angst hätte, man verpasse etwas. Weil man ist ja in Erwartung, in Erwartung der – nach den ersten Klängen – nicht eigentlich erwartbaren Situation. Man wartet trotzdem.
Die Graduale12 ist ein Ort unwillkürlichen Zufalls geworden. Die Kommunikation zwischen den Dingen selbst und den Menschen andererseits und untereinander, wird allein noch von dem Gebäude getragen. Und gehalten. Es hält die innere Drift mühselig zusammen. In der Einrichtung türmt sich kein Elfenbein. Nicht einmal das.
Die Podiumsdiskussion als musikalische Veranstaltung hat nicht getragen. Sie ist nicht untragbar. Keineswegs. Doch sie kommt an die Geschlossenheit ihrer selbst nicht vorbei. Podiumsdiskussionen sind ohnedies längst vorbei. Podiums-Narrative werden schnell zur bloßen Narretei. Vielleicht muss man durch diesen Umweg hindurchgehen, dem Umweg folgen; nicht aus Gründen der Rentabilität, allein aus ästhetischen. Und sei es, dass man einfach – wie erwähnt – wartet. Die Löcher im der limitinage #4 haben die Gedanken magnetisch angezogen, stärker als die abgelegten Blätter aus Noten und Texten.
PS: Das Wort „Shriffen“ gibt es nicht als Verb der deutschen oder irgendeiner anderen Sprache. Jedenfalls ist mir das nicht bekannt. Dennoch scheint es mir passend für diesen Vorgang der musikalisch-sprachlichen Zusammenspiel: Schrift in Reibung.
Zuerst erschienen in: nmz-online 21.10.2012