4. Dezember 2024 Guten Tag, everybody

[Cluster] Gute Nachrichten

Zeit zum Aufatmen, Zeit zum Durchatmen. Nachdem über viele Jahre im Bereich der Klassischen Musikkultur die Sense ihres Untergangs medial beschworen wurde, das Ausdünnen des Publikums, die Überalterung der Zuhörenden bemerkt wurde, der Tonträgermarkt auf CD fast zusammengebrochen ist, scheint die Talsohle nun durchschritten. Über zwei Jahrzehnte intensivierte Musikvermittlungsarbeit mit Wellen des Scheiterns und Gelingens sind durchmessen.

Die Trendwende ist da! Konzerthäuser füllen sich wieder, Konzertgebäude sprießen neu aus dem Boden oder werden kostspielig saniert. Freilich nicht überall – es gibt weiterhin Landstriche die auskartiert werden zu kulturellen Wüsten. Für diese rüsten sich die Kulturträger mit allerlei modernem Computer/Smartphone-Schnickschnack auf. Aus Pokemon wird Lang Lang Go. Aber aus der nächsten Scheune klingt schon wieder ein Ton. In den sozialen Netzen und in den Blogs wird kontrovers gestritten und gelacht. Ästhetische Erfahrungen werden real und digital ausgebrütet, Zugangsschwellen werden geschliffen. Das netzwerk junge ohren (njo) hat zehn Jahre kräftig gewirkt und will seine Aktivitäten in Städten unter 80.000 Einwohnern intensivieren. Die Begeisterung, die von den Organisatorinnen des njo ausgeht, ist handfest spürbar. Die Dinge wandeln sich. Auch bei uns: Die Zusammensetzung der Leserinnenschaft der Online-nmz ist zwischen Frauen und Männern mittlerweile vollkommen ausgeglichen und besteht am stärksten aus 25- bis 34-Jährigen. Ganz so falsch kann unsere Arbeit also auch nicht sein.

Zeit zum Zurücklehnen und Entspannen? Schön wäre es. Nein, die Kunst muss täglich neu verhandelt werden. Sie ist eben immer wieder eine zu erkämpfende Selbstverständlichkeit. Daher braucht sie ihre Experimentalstudios und Kleinstbiotope, Forschungslabore der Ungewissheit, des Bodenlosen, der Verschwendung, der ökonomischen Freiheit und des Scheiterns – ob in Presse, Konzerthaus, Kindergarten, Schule, Lehre oder im familiären Verbund – Kunst darf nicht zum dämpfenden Opium für ein abzustumpfendes Volk werden, wie es sich manch ein Populitiker oder Bildungsverplaner wünschte. Kunst bleibt eine schmutzige schwierige Angelegenheit, die deshalb Spaß, Berührung und Erfasstheit erzeugt. Kunst kämpft immer für die Menschen, nicht gegen sie.

Zuerst erschienen in: nmz 10/2017 – 66. Jahrgang