GNUsic, GPL und Fairness als alternative Rechtsprinzipien im Urheberrecht
Die Frage nach dem geistigen Eigentum in der Musik ist durchaus nicht so einfach entschieden, wie man denkt. Das Urheberrecht des Schöpfers eines Werkes ist in Deutschland unveräußerlich, das ist klar und wird von niemandem bestritten oder in Zweifel gezogen. Doch wie man Sinn und Zweck des Urheberrechts beurteilt, das kann keineswegs als ausgemacht gelten. Das deutsche Bezugssystem aus Rechtformen (Grundgesetz und Urheberrecht) und Verwertungsgesellschaften (GEMA) besetzt die öffentliche Diskussion über Urheberrechte im Bereich der Musik so sehr, daß alternative Ideen und Konzeptionen nur selten untersucht oder dargestellt werden. Daß sich in diesem Sektor dennoch etwas tut, ist keine Folge einer neuen Grübelei über das Urheberrecht. Vielmehr sind solche Konzeptionen durch die jüngsten technischen Entwicklungen, namentlich von Seiten des Internets, forciert worden.
In letzter Zeit hat sich eine Art Subkultur ausgeprägt, bei der die Frage nach der Freiheit und der freien und fairen Nutzung geistigen Eigentums eine wichtigere Rolle spielt als die Frage danach, wie man geistiges Eigentum in bare Münze umwandeln könne. So beantwortete der amerikanische Richter Kozinki im Fall „Vanna White vs. Samsung Electronics Inc.“ die Frage nach dem Eigentum kreativer Leistungen auf eine verblüffende Weise. Er meint: „Alle Schöpfer arbeiten auf der Grundlage der Werke, die andere vor ihnen schrieben, beziehen sich auf diese, bauen auf ihnen auf, haben Spaß an ihnen. Wir nennen das Kreativität, nicht Piraterie“. Es handelt sich hier um eine Argumentation, die den kreativen Prozeß als einen gesamtgesellschaftlichen ansieht, nicht als einen, der sich an der Genialität und Einzigartigkeit eines einzelnen Individuums orientiert. Natürlich soll damit nicht die spezielle Leistung und der kreative Prozeß des einzelnen Künstlers in Frage gestellt werden. Nach der Auffassung von Richter Kozinski gibt es im kreativen Bereich aber eigentlich kein Privateigentum. Das registriert ja auch das Recht des Zitierens, wobei dabei Unterschiede gemacht werden zwischen sogenannten wissenschaftlichen und populären Werken. In diesem Bereich gibt es also eine Zwei-Klassen-Kreativität und damit eine unterschiedliche „ethische-gesellschaftliche“ Bewertung.
Es gehört ja zu den Vorteilen unseres Rechtssystems, daß es in der Lage ist, gesellschaftliche Prozesse zu reflektieren und neue Auslegungsformen zu konstituieren. Ich erinnere nur an die Aufhebung der Ungleichbehandlung der Schutzdauer bei Lichtbildern gegenüber Werken der „Kunst“ in den 60er Jahren. Aber es gibt noch immer Ungereimtheiten. Zum Beispiel die Festsetzung der Schutzfrist: 70 Jahre nach dem Tod des Schöpfers sind dessen Werke gemeinfrei, und man fragt sich, warum von heute auf morgen ein Werk nicht mehr als schützenswert gelten sollte, warum vergeht „geistiges Eigentum“ – das sollte man einmal auf den Bereich des Eigentums an Dingen übertragen. Oder der besondere Melodienschutz aus § 24 Abs. 2 Urhebergesetz, den einige Rechtskommentare gar als verfassungswidrig werten.
GNUsic
Es geht nicht um Geld, es geht um kreative Prozesse. So sehen es auch die Macher des japanischen Musikprojekts GNUsic (www.gnusic.net ). GNUsic ist ein Internetprojekt, an dem jeder teilnehmen kann. Es funktioniert nach dem Prinzip, die Resultate der künstlerischen Arbeit „frei“ weiterzugeben, um anderen die Möglichkeit zu geben, daran zu partizipieren und sie zugleich aufzufordern, ihrerseits genauso zu handeln. In diesem Zusammenhang wird dann häufig auch das Basar-Prinzip genannt, bei dem im günstigsten Fall ein gerechter Tausch zwischen den Partnern stattfindet. Man nimmt und gibt, am besten auf der Basis eines gleichartigen Mediums (nicht Musik für Geld, sondern Musik für Musik). Die rechtliche Form dieses Verhaltens ist orientiert an einer besonderen Vereinbarung, die aus dem Bereich der Software-Lizensierung stammt und unter dem Namen GPL (General Public License) bekannt ist. Neben der rechtlichen Seite ist aber vor allem die soziale Funktion dieses Prinzips von besonderem Interesse. Die Werke, die copyright-frei veröffentlicht werden mit Bezug auf die GPL, sind unbeschränkt frei zur nichtkommerziellen Nutzung. Man darf sie also zum Beispiel kopieren und an Freunde, Bekannte aber auch Unbekannte weiterreichen, solange damit nicht ein kommerzielles Interesse verbunden ist. Hingegen ist ja die Überspielung eines geschützten Musikstücks für einen Freund im Prinzip schon eine Verletzung des gewöhnlichen Urheberrechts. Bei GPL geht es nicht darum, für eine schöpferische Leistung einen festen materiellen Gegenwert zu erwerben, sondern diesen „Wert“ in eine konkrete Beziehung zum Nutzer oder Rezipienten zu setzen. Dieser entscheidet sich dann ganz persönlich, wieviel ihm dieses Werk wert ist.
Wertschöpfungsketten
Damit gestattet dieses Prinzip eine Transparenz, die über eine institutionell geregelte Geldwirtschaft nicht erreichbar ist. „Ganz prinzipiell ermöglicht das Geld eine Heimlichkeit, Unsichtbarkeit, Lautlosigkeit des Besitzwechsels, wie keine andere Wertform“, schrieb um die Jahrhundertwende der Soziologe und Philosoph Georg Simmel in seiner „Philosophie des Geldes“. Die Wertschöpfungskette wird extrem verkürzt und damit personalisiert und individualisiert. Es gibt keine Verlage, Verwertungsgesellschaften oder Händler und Zwischenhändler, die am Schaffen des Künstlers mitverdienen wollen und können (sieht man einmal von den Telekommunikationsgesellschaften ab, die den Internetwegezoll implizit über Telefongebühren abfangen). Die Abtrennung von der materiellen Wertzumessung funktioniert natürlich nur in einem System, das die Leistungen der Künstler anerkennt und respektiert. Modern gesprochen heißt das Fairness, um die Jahrhundertwende nannte es Georg Simmel „Vornehmheit“. Diese kann aber nur dadurch erlangt werden, indem man der Monetarisierung des Geistes eine Selbstverantwortlichkeit entgegenstellt. „Das Vornehmheitsideal ist wie dem ästhetischen (…) die Gleichgültigkeit gegen das Wieviel eigen. (…) Denn so sehr das Geld, weil es für sich nichts ist (…) ein ungeheures Wertplus gewinnt, so erleiden umgekehrt unter sich gleichwertige, aber verschiedenartige Objekte durch ihre – wenn auch mittelbare oder ideelle – Austauschbarkeit eine Herabsetzung der Bedeutung ihrer Individualität.“ Man kann dieses Denken als naiv bezeichnen. Daß dergleichen Konzeptionen keinen weltfremden Vorstellungen entspringen, zeigt der enorme Erfolg des Computer-Betriebssystems „Linux“. So paradox es klingen mag: Das Copyleft stärkt die Position des Urhebers, während das Copyright die Bedeutung des Urhebers verdinglicht.
Damit gerät aber auch das geltende Verwertungsprinzip vermittels Institutionen, wie es hier die GEMA vertritt, in Legitimationsprobleme. Wenn man beispielsweise für Tonträger wie leere Musikkassetten oder leere CDs eine Pauschalabgabe zu zahlen hat, so zahlt man eine Gebühr unabhängig davon, ob man kommerzielle, geschützte Musik darauf überspielt oder eigene oder copyrightfreie. An den Einnahmen aus diesem Säckel partizipieren dagegen in Deutschland nur jene, die die Verwertung davon betroffener Rechte an eine Verwertungsgesellschaft abgetreten haben (eben an die GEMA). Das ist zweifellos eine geduldete Ungleichbehandlung, die „noch“ rechtmäßig ist und funktional sinnvoll sein kann (der Regel wird der Vorzug vor den Ausnahmen gewährt). Wenn sich jedoch das GPL-Modell zu einem gesellschaftlich bedeutsameren Bereich in der Musikszene entwickeln sollte, dürfte man dieses Verfahren keineswegs mehr hinnehmen.
Einschränkungen
Man muß sich aber auch über den Rahmen des Anwendungsbereiches von GPL ein paar Gedanken machen. In der Regel handelt es sich bei der Musik um rein elektronisch generierte Musik. Sobald Musiker engagiert sind, haben diese auch Rechte an einem angemessenen Entgelt bei der Verbreitung der Musik. GPL wäre aber unbedingt anwendbar auf Kompositionen selbst, wenn sie beispielsweise in Notenform vorliegen. Auch hier kann man die kommerzielle Nutzung untersagen.
Links zu diesem Thema:
General Public License (dt.):
http://oswald.pages.de/gpl-ger.html
General Public License (engl.):
http://www.fsf.org/copyleft/gpl.html
GNUsic-Projekt (engl.):
http://www.gnusic.net/
Zu GNUsic „Musikalische Viren“ (dt.):
http://www.heise.de/tp/deutsch/inha…
Zur Free Music Philosophy (engl.):
http://www.ram.org/ramblings/philos…
Freie Popmusik (engl.):
http://www.mono211.com/
Freie Samples von der Gruppe Coldcut (Ninjatune) (engl.):
http://www.ninjatune.net/
Zuerst erschienen in der neuen musikzeitung 1999/06