27. Juli 2024 Guten Tag, everybody

Plessner: Das Gesetz der vermittelten Unmittelbarkeit

Darüber lässt sich der Soziologe Helmuth Plessner gegen Ende seiner Publikation „Die Stufen des Organischen und der Mensch”, geschrieben um 1928 aus. In diesem Abschnitt geht Plessner auch auf das Thema der Urheberschaft ein. Wie etwas in die Kultur eingeht:

„Was also in die Sphäre der Kultur eingeht, zeigt Gebundenheit an das menschliche Urhebertum und zugleich (und zwar in dem selben Ausmaß) Unabhängigkeit von ihm. Der Mensch kann nur erfinden, soweit er entdeckt. Er kann nur das machen, was es “schon” an sich gibt –wie er selbst nur dann Mensch ist, wenn er sich dazu macht, und nur lebt, wenn er sein Leben führt. Seine Produktivität ist nur die Gelegenheit, bei welcher die Erfindung Ereignis wird und Gestalt gewinnt. Es wiederholt sich hier das früher besprochene Verhältnis der Koerrelativität des apriorischen und aposteriorischen Elementes, wie es die Situation des Lebewesens oder die Anpassung an seine Umgebung allgemein beherrscht, ja geradezu ausmacht, – in der Schicht bewußten Machens, das nur schöpferisch wird, wenn ihm die spezifische Anpassung an die objektive Welt gelingt. Das Geheimnis des Schöpfertums, des Einfalls besteht in dem glücklichen Griff, in der Begegnung des Menschen mit den Dingen. Nicht das Suchen nach etwas Bestimmten ist das Prius der eigentlichen Erfindung, denn wer nach etwas sucht, hat in Wahrheit schon gefunden. (…)
Aber niemand wird behaupten wollen, daß damit das Wesen der Erfindung und des glücklichen Griffs voll charakterisiert sei. Erfindung heißt auch Umsetzung aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit. Nicht der Hammer hat existiert, bevor er erfunden wurde, sondern der Tatbestand, dem er Ausdruck verleiht. Das Grammophon war sozusagen erfindungsreif, als es feststand, daß Schallwellen sich mechanisch transformieren lassen, und diesen Tatbestand hat kein Mensch geschaffen. Trotzdem musste es erfunden werden, d.h. die Form dafür mußte gefunden werden. Der schöpferische Griff ist eine Ausdrucksleistung. Dadurch erhält der realisierende Akt, der sich auf die von der Natur dargebotenen Materialien stützen muß, den Charakter der Künstlichkeit.“ Helmuth Plessner: Die Stufen des Organischen und der Mensch, Berlin 1975, S. 321 f. (Hervorhebung MH)

Sehr viel komplizierter lässt es sich nicht sagen. Fortsetzend: Diese Künstlichkeit wird selbt dann wieder zu einem Material „zweiter Natur”, welches wiederum erfindungsreife Neuentdeckungen zulässt, die natürliche Künstlichkeit. Plessner sagt leider nichts dazu, in welchem Maße jemand dazu befähigt wird, Entdecker zu sein – denn manche sind es ja mehr, manche sind es weniger. Das nur nebenbei. Aber wenn man Plessners Analyse ernst nehmen möchte, so schmilzt dennoch der Begriff der Urheberschaft auf das Faktum von Ausdrucksleistungen herunter, die “nur” mit dem Material auskommen müssen, welches ohnehin schon da ist. Das Erfundene selbst ist dabei gar nicht mal so originell, sondern liegt praktisch auf der Hand. Das Handwerk entdeckt das Naheliegende im Vorgang des Ausdrückens.

Eine Erfindungsbeschleunigung ist, wenn man Max Weber hinzuzieht, Resultat einer an Rationalität orientierten Gesellschaft, wenn man nicht sogar sagen möchte, Rationalität ist eine Art rekursiver Motor für sich selbst, gewissermaßen die Erfindung der Erfindungen an sich.

Momentan scheint im Rationalisierungsprozess einer Art Umkehrung bemerkbar zu sein. Der Motor scheint sich selbst zu stoppen, weil sich die Prozesse gegenseitig immer deutlicher durchkreuzen. Der Rechtsrationalismus den Kulturrationalismus den Technikrationalismus. Würde das nur nach den Maßstäben der gegenseitigen Aufsicht geschehen, wäre dies noch nicht so stark spürbar. Das ist aber nicht der Fall. (wird fortgesetzt, muss noch etwas nachdenken ….)