6. Dezember 2024 Guten Tag, everybody

Kunst als krimineller Akt? Wenn Staatsorgane durchdrehen

In den Fokus der Staatsanwaltschaft Gera ist das Künstlerinnenkollektiv „Zentrum für politische Schönheit“ (ZPS) geraten. Das machte eine Anfrage im Thüringer Landtag klar. Offenbar wird seit gut 15 Monaten gegen das Kunstprojekt wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB ermittelt. Da befinden sich die Künstlerinnen direkt neben Fußball-Hooligans, dem sogenannten „Islamischen Staat“ und Rechtsextremen. „Unter einer kriminellen Vereinigung ist ein Zusammenschluss von mindestens drei Menschen zu verstehen, der darauf ausgerichtet ist, Straftaten zu begehen“, erklärt Alexandra Dehe in der FAZ.

Kunst wird also unter Verdacht gestellt, eine Straftat zu begehen. Wir wissen ja, dass für viele Kunst an sich schon eine Strafe darstellt, weil sie möglicherweise zum Denken anregen könne. Insofern ist der Vorwurf absolut gerechtfertigt. Dass es die Staatsanwaltschaft damit ernst meint, ergibt sich aus der Tatsache, dass man seit eben 15 Monaten noch nicht weitergekommen ist.

Das alles ist längst kein Scherz. Der Vorwurf zielt nämlich tiefer: „In Absatz zwei des Paragrafen 129 heißt es allerdings, ‚mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe‘ werde jeder bestraft, der ‚eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Unterstützer wirbt.‘ Zur Zeit hat das Zentrum für politische Schönheit rund 2000 Fördermitglieder,“ erklärt Alex Rühle in der Süddeutschen Zeitung. Wahrscheinlich geraten so sogar wir ins Visier der Ermittlungsbehörden. Und auch Sie, wenn Sie das hier lesen sollten. Das ist absurd.

Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates twittert dazu: „So sehr ich die ein oder andere Kunstaktion des @politicalbeauty problematisch finde, so eindeutig ist es Kunst und unterliegt der Kunstfreiheit Artikel 5 GG. Die Hürden Künstler wg. Ihrer Kunst rechtlich zu verfolgen, sind in D deshalb sehr hoch. Wir erwarten schnell Klärung!“ Da ist zu befürchten, dass vom Großstadtflughafen BER in Berlin noch früher Flugzeuge starten oder landen werden. Vor allem, was ist da zu klären? Gewiss ist aber, dass gerade das Problematischfinden des Olaf Zimmermann nicht gegen die politische und künstlerische Wirksamkeit des Zentrums für Politische Schönheit spricht, sondern sogar dafür. Die Kunstaktionen des ZPS zeigen damit deutlich an, dass es ihnen nicht darum geht, „anerkannt“ zu werden oder zu sein. Diese künstlerische Radikalität und Intelligenz benötigt keine Liebe der Kritik, von keiner Seite des politischen Spektrums. Das macht die Tätigkeit des ZPS ja gerade so effektiv. Es geht nicht um Geld, es geht nicht um Beifall. Es geht um Risse, es geht um das Innerste der Gesellschaft und ihr Zerrüttetsein.

Erinnerung 1: Henzes „Das Floß der Medusa“ (1968)

Das scheint die Ermittlerinnen in Gera alles nicht die Bohne zu kratzen. Diese sitzen sicher gerade in der Stadtbibliothek von Gera und studieren fleißig das „kleine ABC der politischen Kunst“. Vielleicht fällt denen dann auch ein Beitrag von Albrecht Dümling in die Hände, der für die nmz im letzten Jahr den Skandal um die Uraufführung von Hans Werner Henzes „Das Floß der Medusa“ aufgerollt hatte. Sobald Kunst politische Intelligenz zeigt, dürfte die Gefahr für deren Produzentinnen steigen. Vermutet wird, dass die Ermittlungen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Mahnmal des ZPS) zu Füßen des Domizils von Björn Höcke stehen. Wenn das Nachahmer fände, dann wird es eng. Es gibt ja von Vertreterinnen einer bestimmten Partei im Bundestag Ambitionen, Kunst auf Linie zu bringen. So berichteten wir noch im Januar dieses Jahres: „Theater wehren sich gegen Angriffe von Rechtspopulisten“.

Erinnerung 2: Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ in Hannover (2015)

Dass auch andere Parteigänger gerne mal über die Grenzen künstlerischer Vernunft gehen, zeigte schon der Vorfall zum Freischütz in Hannover vor einigen Jahren (wir berichteten auf dem Sperrsitz der nmz). Damals empfahl ein Dr. Kiamann von der CDU dem zuständigen Kulturdezernenten „in seiner Funktion als Aufsichtsratsmitglied der Oper dringend, in diesem Sinne dort durchzugreifen und bei aller Freiheit für die Kunst dafür Sorge zu tragen, dass die Schätze, die uns Dichter und Komponisten hinterlassen haben, lebendig bleiben und nicht ins Niveaulose und Beliebige gezogen werden. Sonst braucht er weder besondere Formate und ab 2019 auch keine neue Intendanz suchen, sondern kann die Oper ganz zuschließen!“ (Pressemeldung der CDU als PDF [Link nicht mehr verfügbar]) Schätze heben, sonst zumachen. Die Freiheit der Kunst hat eben ihre Grenzen. Mit der ästhetischen Prämisse dürfte so ziemlich allen Theatern in Deutschland der Schließungstod drohen. Dr. Kiamann will das nicht als Zensur verstanden wissen. Ja nee, ist klar. Es ist nur eine politisch-edukativer Eingriff.

Jetzt mit der Keule des §129

Das ist im Vergleich zu dem Angriff staatlicher Organe in Gera noch Pillepalle. Denn dem ZPS kann man nix vorschreiben. Also geht man den Weg des Rechts und geht vor allem rechts. Denn § 129 gewehrt Ermittlungsbehörden weitreichende Befugnisse, etwa eine mögliche Überwachung der Kommunikation von Tatverdächtigen über Telefon oder digitale Wege. Da kann der Verfassungsschutz nur neidvoll das Nachsehen haben. Wenn der nicht auch längst ermittelt.

Fokus

Was sagt das jetzt? Es handelt sich um ein Staatsversagen. Es ist fast eine Kunstaktion wider Willen, weil die Realität sich selbst aufdeckt und enttarnt. Hier sehr zum persönlichen Schaden des ZPS und seiner Initiatorinnen.

Nachtrag 12:21 Uhr 4.4.2019

Das ZPS wehrt sich. Laut Facebook-Mitteilung schreibt es zum Vorgang:

Staatsanwalt Martin Zschächner, der gegen uns wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ vorgeht, tarnt sich als „Pressesprecher“ und verschweigt gegenüber Journalisten aktiv (siehe die Berichte in der Süddeutschen, MDR, Tagesspiegel), dass er selbst der in der Kritik stehende Staatsanwalt ist!

1. Wir gehen jetzt mit einstweiliger Verfügung dagegen vor, die ihm verbietet, sich als Pressesprecher zu äußern, ohne klarzustellen, dass er der Staatsanwalt ist, der seit 16 Monaten ermitteln lässt.

2. Da er sich mit dem Verfahren in gravierender Weise strafbar gemacht haben könnte, prüfen wir eine Anzeige wegen § 344 Strafgesetzbuch „Verfolgung Unschuldiger“.

3. Zudem überlegen wir, was wir dagegen unternehmen können, dass er gestern an die Presse weitreichende Informationen zu unserem Verfahren ausgegeben, aber unseren Anwälten jegliche Einsicht in das Verfahren verweigert hat.


Zuerst erschienen auf nmz online am 4.4.2019.