13. Dezember 2024 Guten Tag, everybody

Nachschlag: Der Esel macht IMA oder: Von der Unter-Haltung

Erinnern Sie sich noch an den „ECHO“, den großen Musikpreis der Musikindustrie? Letztes Jahr gab es „Big Trouble“ über Nominierung und Preisverleihung an Farid Bang und Co, äh, Kollegah. Der Skandal führte schließlich zur Absetzung des Musikpreises „ECHO“. Im Klassikbereich hat es letztes Jahr einen Nachfolger gegeben unter dem Namen OPUS Klassik. Ob da etwas im Popbereich sich tun würde, war lange Zeit ungewiss. Jetzt gibt es Klarheit. Der International Music Award (kurz: IMA) soll die Nachfolge antreten.

Das Musikmagazin „Rolling Stone“ kündigte kürzlich an: „Am 22. November wird erstmals der IMA in Berlin verliehen – mit einer großen Live Show, bei der Künstlerinnen und Künstler ausgezeichnet werden, die Haltung und Innovationskraft unter Beweis stellen.“ Eiderdaus: Haltung! Innovationskraft! Man weiß ja, dass der Begriff „Haltung“ etymologisch von der Tätigkeit des „Hand-Aufhaltens“ abstammt. „Wir nehmen Popkultur als gesellschaftliche und ästhetische Kraft ernst, so dass nicht allein der kommerzielle Erfolg zählt, sondern vor allem die Qualität,“ sagte da der Chefredakteur Sebastian Zabel. Nur: „Haltung“ klingt einfach besser.

Der „Rolling Stone“ der Pop-Musikgeschichte nimmt dank Gravitation Fahrt auf Richtung Erdkern, aber er bewegt nichts mehr. Foto: Hufner
Der „Rolling Stone“ der Pop-Musikgeschichte nimmt dank Gravitation Fahrt auf Richtung Erdkern, aber er bewegt nichts mehr. Foto: Hufner

Zwischen kommerziellem Erfolg (wichtig) und Qualität (wichtigwichtig) soll der Preis nun schrill schillern. Da sind wir aber sehr gespannt, wer das Rennen machen wird. Für „Haltung“ und „Innovationskraft“ wird sicher der Mitausrichter Axel Springer Verlag sorgen. „Streaming statt TV und eine breite Reichweite in Print und Digital“, erklärt dazu Petra Kalb, Verlagsgeschäftsführerin Axel Springer Mediahouse Berlin. Da kann man sich sicher sein. Die BILD (angeblich eine Zeitung) wird’s richten, ist sie doch ein Produkt, das in jeder Hinsicht für Haltung steht, wenn es auch die falsche ist. Und immerhin ist sie so ehrlich, zu ergänzen: „Die maßgeschneiderten Vermarktungskonzepte sind für Kunden und Partner eine kommerziell attraktive Plattform.“ Darum geht es schließlich im Kern: Ums Geschäft, nicht um Kunst. Den Keks muss man erst einmal schlucken, wenn der Esel Gold scheißen soll. Verdauen können wir das dann in platter Form übrigens am 22. November.

Deutlicher kann man nicht erklären, dass Pop tot ist. Ja, dass er schlimmer denn je zur Unter-Haltung abgesunken ist. Der Preis übermittelt die unfrohe Kunde davon, dass das Gegenteil von gut nicht „gut gemeint“, sondern allein noch „gut gemacht“ (nämlich Qualität – stammt bekanntlich etymologisch vom Wort „Qual“ ab) geworden ist. Man fragt sich nicht zu Unrecht, ob man diesen ganzen Zirkus überhaupt noch dem Bereich der Musikkultur zurechnen sollte, anstatt der reinen Verblödungsindustrie aus Ton und Text. Zur allgemeinen gesellschaftlichen Aufregung reicht es nur, wenn der Pop von Marktgiganten, über Werbung oder mediale Großevents – die kommerzielle Innovationskraft –, durch- und reingedrückt wird, oder wenn er rechtsdrehende Empörungswellen auslöst wie bei und durch Freiwild oder Xavier Naidoo als Form gesellschaftlich destruktiver Gegeninnovation. Da geht allemal die Kotzen-Nutzen-Rechnung, wie sie Thomas Kapielski schon vor 30 Jahren benannte, direkt auf.

Klassik (OPUS Klassik) und Pop (IMA) sind also wieder mit ihren Industriepreisen bestens gesichert, eine große Koalition der kulturellen Verblendung gewissermaßen. Sie dienen als Musikvermittlungsinitiative für prestigesüchtige Erwachsene, die auf den toten Teppichen der Selbstvergewisserung sich gegenseitig aus ihren alten hohltönenden „Echo“-Kammern der Vergangenheit die Schuppen von den Schultern ihrer Scheinheiligkeit klopfen können.

Die bange Frage bleibt: Was aber wird aus dem verloren gegangenen Echo-Jazz, kommt da noch der „Honk“, der „Monk“ der „Brönner-Burner“? Oder wird man wenigstens da etwas anderes, wirklich Adäquates improvisieren – als „Free Jazz“ oder eher als Cocktail-Kirschfleck auf den karierten Freizeithemden beim Frühschoppen unter deutschen Eichen? Also zitternd abwarten, in welcher Redaktion da ein Sack Preis umfallen wird, falls überhaupt.


Zuerst erschienen in nmz: 5/2019 – 68. Jahrgang