Es wird gestreamt was das Zeug hält – auch in der Musikwelt. Von AppleMusic bis Spotify läuft das Geschäft anscheinend hervorragend. Es fragt sich nur für wen. Zwei der großen „Klassik“-Streamer sind mittlerweile vom Markt weggefischt worden. Primephonic wurde von Apple quasi über Nacht ein- und ausgetütet; Grammofy lebte zwischenzeitlich unter dem Dach von Spotify, ehe es von dort annähernd unbemerkt spurlos verschwand.
Allein Idagio kämpft im Nischenmarkt der klassischen Musik weiter – aber es wird dort merklich stiller, zumindest, was den deutschsprachigen Raum angeht – die letzten News stammen vom November 2020. Idagio hält ja viel auf sich, die Künstler*innen in ihren Streams „angemessen“ zu honorieren, sekundengenau nämlich und nicht per Track. Aber was hilft es, wenn man da nicht gelistet wird, wie es anscheinend zahlreichen Independent-Labels ergeht. Diese und ihre Künstler*innen sind dann nicht dort, sondern eben auf Spotify und Co zu finden – wie beispielsweise die Gitarristin Heike Matthiesen.
Vielleicht ist es an der Zeit, eine Sonderform nach Art des Nutri-Score oder ein Fairtrade-Siegel für Streamingdienste einzuführen, um sofort zu erkennen, ob die dort wollmilcheiersauenden Künstler*innen auch artgerecht und damit kunstgerecht gehalten werden? Käfighaltungsnote 1 für Spotify und etwas mehr finanziellen Einlauf dafür bei der Stallhaltung von Idagio und Deezer. Mehr noch: Die Initiative „Fair Share“ sieht unter anderem in den Abrechnungsmodellen der Streaminganbieter Probleme durch technische Manipulationen und daraus folgend ergäbe sich eine Bedrohung für „die Vielfalt und die Entwicklung der Musik im Ganzen. Newcomer:innen haben es noch schwerer als früher, Gehör zu finden; ebenso wie alle Künstler:innen, die sich abseits des Mainstreams bewegen.“
Zu befürchten ist allerdings, dass Fairness im globalen kapitalistischen Markt kaum zu bekommen ist. Dazu müssten die Künstler*innen die Produktionsmittel schon selbst in den Händen halten und ihre Interessen solidarisch selbst verwalten, so schwer das auch wäre, Grabenkämpfe inklusive – siehe GEMA und Co.
Die Kund*innen auf der anderen Seite interessiert bekanntermaßen meistens leider nur das billigste halbwegs beste Angebot. Wenn schon sowieso geräubert und gehehlert wird, was das Zeug hält, ist es letztlich aus deren Sicht nur vernünftig, sich auch den günstigsten Dealer der Wahl herauszusuchen. Dass das unter Umständen zu gefährlichen Monopol-Bildungen führen kann, zeigt sich gerade auf dem Bewegtbild-Streaming-Markt, wo der Sportstreamingdienst DAZN den Einstiegspreis für Neukunden von monatlich 14,99 auf 24,99 Euro erhöht hat. Deezer steigert den Preis moderat von 9,99 auf 10,99 Euro. Naiv wäre es, zu glauben, dass diese Erhöhungen sich in den Erträgen der Urheber*innen und Künstler*innen niederschlagen würden.
Mindestens ebenso absurd sind nach wie vor die mickrigen Urheber*innenabgaben auf Geräte mit Speicherfunktion. Es ist sehr interessant, dass die Firma Apple beim Kauf ihrer Telefone angeben muss, welchen Anteil die Urheberrechtsabgabe am Kaufpreis hat. Für ein aktuelles iPhone 13 Pro zum Preis von 1269,00 Euro werden da doch wirklich sage und schreibe fünf Euro fällig. Das entspricht aufgerundet 0,4% des Endkundenpreises. Über die ZPÜ (Zentralstelle für private Überspielungsrechte) werden diese Einnahmen dann an die verschiedenen Verwertungsgesellschaften wie beispielsweise die VG WORT, die VG BILD–KUNST und die GEMA verteilt.Das entspricht schon nicht mehr Stall-, sondern eher einer Käfighaltung von Kunstschaffenden.
Die Phrase von Kultur und Kunst als dem Lebens- und Triebmittel der Gesellschaft klingt zwar bedeutungsschwanger und emphatisch, aber aufgeputschte Gammelmusik inklusive glutamatartigen Geschmacksverderbern gibt es hinter jeder Internethecke. Eine Stall- oder Käfighaltung von Künstler*innen verspricht immer noch die höchsten Renditen. Der Blick zurück in die Kampfzonen bei der Ausgestaltung der europäischen Richtlinie zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt vor drei Jahren hat gezeigt, dass weiten Teilen der Konsument*innenschaft das Künstler*innenwohl schnurzpiepegal ist, solange die Kunst- und Kulturdealer*innen liefern. Weltverkehrt wird es dann, wenn sich eine Initiative wie „docs for democracy“ eine Vergesellschaftung des Bereichs Dokumentarfilm herbeisehnt oder wenn Felix Reda (ehemals „Piratenpartei“) im Namen der „Gesellschaft für Freiheitsrechte“ meint, dass mit „der Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie sich … Gefahren für die Kommunikationsfreiheit zu verschärfen“ drohten. Dass Freiheit und Demokratie durch die Wahrnehmung eines zeitgemäßen Urheberrechts und die Ansprüche von Kreativen in Gefahr kämen, gehört leider zum Vokabular dieser Apologeten und Verteidiger eines angeblich freien Netzes.
Doch in Wirklichkeit offenbaren diese Initiativen ihre Verachtung für die in Kunst und Kultur tätigen Menschen.
Zuerst erschienen in nmz Ausgabe: 3/2022 – 71. Jahrgang