„Wir verehren Hanns Eisler als den bedeutendsten deutschen Komponisten der Arbeiterklasse.“ So beginnt Eberhardt Klemm 1973 sein Portrait Hanns Eislers. Luciano Berio hat dagegen 1988 gesagt: „Eislers Musik war von Grund auf dumm.“ Zeitlebens und posthum hat der Komponist Eisler mit Vorurteilen zu kämpfen gehabt, die seiner ästhetischen sowie politischen Haltung und schließlich auch seiner Musik entgegengebracht wurden. Man weiß nicht so recht, wer er war und wer er heute sein könnte.
Eisler wurde am 6. Juli 1898 in Leipzig als Sohn des österreichischen Philosophen Rudolf Eisler bekannt durch ein „Wörterbuch der philosophischen Begriffe und Ausdrücke“ – und seiner Frau Marie Ida, geb. Fischer, geboren. Die Familie übersiedelte 1901 nach Wien. 1919 begann er seinen vierjährigen Kompositionsunterricht bei Schönberg, über den er in einem Gespräch mit Nathan Notovicz sagte: „Dann lernte ich bei Schönberg etwas, was heute gar nicht mehr richtig verstanden wird: Redlichkeit in der Musik, Verantwortlichkeit in der Musik und das Fehlen von jeder Angeberei. Diese unerbittliche Strenge, dieses Streben nach musikalischer Wahrheit, […] ist der größte Eindruck meines Lebens gewesen.“ Wo und wie diese Suche nach musikalischer Wahrheit sich äußern sollte, diese Frage beantworteten Eisler und Schönberg durchaus unterschiedlich. Eisler war zugleich engagiert in politischer Arbeit. Als Marxist wußte er, daß sich die Produktion von Musik – verstanden als eine Form gesellschaftlichen Handelns – nicht im Musikbetrieb blind reproduzieren dürfe. Er leitete Arbeiterchöre und schrieb Arbeiterchöre und Agitpropmusik.
Wie wohl kein zweiter neben und nach ihm vermochte er es, höchstes künstlerisches Niveau mit politischem Engagement zu verbinden, eine für Schönberg unselige Verbindung. 1926 kam es zwischen beiden zu einer heftigen Kontroverse, die in einem Eisenbahngespräch zwischen Eisler und Zemlinsky ihren Ausgang nahm. Demzufolge habe Eisler Schönbergs „12-Ton-Musik“ kritisiert. Von der „modernen Musik“ fühle er sich gelangweilt. „Ich will tatsächlich mit der ,Moderne’ nichts zu tun haben“, schreibt er an Schönberg. Schönbergs Abwehrreaktion war so stark, daß er noch 1928 schrieb:
„Soll ich hier mit ihm abrechnen? Es hält mich eines zurück: ich habe das Gefühl, daß er nicht alt wird.“ Hier gerieten zwei selbständige Köpfe so heftig aneinander, daß sie sich für einige Zeit trennten. Die Schärfe der Auseinandersetzung macht aber auch deutlich, daß beide Komponisten sich ernst nahmen. Erst ihre spätere Annäherung im amerikanischen Exil war wieder von freundschaftlicher Zuneigung geprägt.
Eisler ging seinen Weg weiten Es kam Ende der 30er Jahre zu der produktiven Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht, die das amerikanische Exil über andauerte und auch nach der Rückkehr der beiden in die DDR bis zu Brechts Tod anhielt.
Genauso problematisch wie das Verhältnis zwischen Schönberg und Eisler blieb die Rezeption Eislers. Als Komponist der Nationalhymne der DDR war er im Westen politisch anrüchig, als eigensinniger Querkopf, der die „große bürgerliche Neue Musik“ nicht in Bausch und Bogen ablehnen wollte, wurden seine Werke in der DDR immer seltener gespielt. Eisler war nie ein pawlowscher Hund. Er, der nach eigenen Worten immer Musik schreiben wollte, die gebraucht würde, wurde in der neuen Zeit von kaum einem noch wirklich gebraucht. Eisler starb am 6. September 1962 in Berlin.
Zeitungsausschnitte op. 11 (1925–27)
In den Jahren 1925-1927, Eisler ist gerade von Wien nach Berlin übersiedelt, schreibt er einen „Liederkreis“ von neun Liedern mit dem ungewöhnlichen Titel „Zeitungsausschnitte“ für Gesang und Klavier.
Anstatt Musik zu weiteren Herzergießungen zu erfinden, benutzt er als Textvorlage tatsächlich zum Teil Zeitungsausschnitte. Es handelt sich also um dokumentarische Texte wie z. B. Heiratsannoncen oder Kinderreime. (Übrigens hat zur gleichen Zeit auch Theodor W. Adorno sich der gleichen Textquelle für zwei Lieder seiner „Bagatellen“ op. 6 bedient.)
Die „Zeitungsausschnitte“ stehen in einer ästhetischen Tradition, die seit Duchamps „Flaschenständer“ (1913) als Gegenbewegung zum ,19. Jahrhundert den menschlichen Alltag zum Kunstgegenstand erhöht. Diese Tradition erhält bei Eisler eine eminent politische Stoßrichtung. So wie die Texte dem Tagesablauf des gewöhnlichen Lebens entnommen sind – hier reimt sich nicht Schmerz auf Herz, sondern Arbeitslosigkeit auf Inflation – stellt sich die Musik in sinnfällige Beziehung zum Text. Wenn beim ersten Stück „Mariechen“ der deutsche Männerchor auftritt, wendet sich die Musik plötzlich ironisch auf das Feld der „bürgerlichen Gesangsvereine“. Genauso eindringlich ist die Musik im „Liebeslied eines Kleinbürgermädchens – Heiratsannonce“‘ das – gemäß der Vortragsbezeichnung – sehr „schlicht, einfach: ohne jede Parodie, Humor, Witz etc. vorzutragen sei. Durch die Verwendung rhythmisch und melodisch markanter Idiome führt Eisler den Text zur Selbstentlarvung, ohne sich darüber lustig zu machen. Dafür symptomatisch ist auch das „Liebeslied eines Grundbesitzers – Heiratsannonce“: Nach ausladenden melodischen Gesten verkriecht sich das Subjekt in seiner verzagten „Chiffre-Meldung“. Kompositorisch orientiert sich Eisler weniger an Schönberg als am Tonfall Bergs, speziell seiner Oper „Wozzeck“‘ deutlich im „Kriegslied eines Kindes“.
Duo für Violine und Violoncello op. 7/1 (1924)
Bei dem kleinen zweisätzigen Duo für Violine und Violoncello op. 7/1 (1924) handelt es sich um unprätentiöse Sonatensätze, die von rondohaften Konturen überlagert werden. Die akademischen musikalischen Formen werden von Eisler ihrer Ernsthaftigkeit beraubt. Er tilgt gewissermaßen auf der akustischen Oberfläche jeden Eindruck von innerer Komplexität, obwohl im kompositorischen Innern der Stücke eine Horde beziehungsreicher Techniken steckt. Das Duo ist Rudolf Kolisch und Joachim Stutschewski gewidmet.
Im ersten Stück („Tempo di Minuetto“) werden die Themen durch die beiden Instrumente repräsentiert. Das fast tänzerische, von der Violine intonierte Thema des Hauptsatzes ist aus symmetrischen viertaktigen Elementen gebaut. Das knappe, melodisch aber weitausschwingende Thema des Seitensatzes ist dem Cello zugeordnet. Alles, was an motivischer Arbeit in diesem Stück geleistet wird, spielt sich gedrängt aber unauffällig zwischen den beiden Instrumenten ab. Nach der knappen Exposition folgt eine dreiteilige Durchführung, die zwei neue Ideen einfügt; von besonderer Graziösität ist der Walzercharakter des dritten Teils. Nur der zweite Teil der Durchführung verarbeitet eigentlich thematisches Material der Exposition, trotz kanonischer Stimmführung ohne Anstrengung und Schulmeisterlichkeit. Die Reprise wiederholt wörtlich die Exposition. Die abschließende Coda – zunächst wild, dann schnell in einen serenadenartigen Ton wandelnd – läßt das Stück mit den Anfangstönen enden.
Der Sonatensatz des zweiten Stücks ist weniger offensichtlich. Es überwiegt ein virtuoser improvisatorischer Charakter, bei dem die Einfälle durcheinanderpurzeln und sich gegenseitig die Hand reichen.
Kleine Sinfonie op. 29 (1932)
Eislers Kleine Sinfonie op. 29 (1932) trägt viele Zeichen einer großen Sinfonie (vier Sätze, vier Charaktere), nur ist sie auf 10 Minuten Aufftührungsdauer zusammengedrängt.
Im ersten Satz geht es um die 23malige Variation eines sechstaktigen Themas, das von der Trompete über einem sechsmal repetierten Klang der Streicher gebracht wird. Aufgrund der einfachen Physiognomie des Themas läßt es sich innerhalb kurzer Zeit vielfach modifizieren. Dabei überlappen sich einige Variationen.
Der zweite Satz ersetzt das übliche Scherzo mit Trio. Freilich hat sich der Tonfall erheblich in Richtung Agitpropmusik verwandelt. Danach folgt ein über weite Strecken kanonisch gearbeiteter lyrischer Kammermusiksatz von Trompete, Posaune und Violine plus Viola (die im Abstand einer Oktave das gleiche spielen), das kuriose rhythmische Verschrobenheiten enthält und überhaupt durch die Verwendung von Wah-Wah-Dämpfern (Eisler schreibt „WauWau-Dämpfer“) einen merkwürdig persiflierenden Tonfall erheischt.
Der Schlußsatz ist im besten Wortsinne ein Rausschmeißer, der mit großer, aber zickiger Geste in den ersten Violinen anhebt. Dieses bizarre Thema wird danach sofort in einen groben Stampfrhythmus eingebunden, über dem ein unwirklich klingendes Saxophon seine Melodie entwickelt. Es folgt ein kurzes lyrisches Intermezzo mit Reminiszenzen an den vorangegangenen Satz. Den Abschluß bildet eine Stretta mit hölzernem, wiederholt auf- und absteigendem Stufengang. Das alles klingt nicht wirklich ernst gemeint, zumindest nicht nach der Bierernstigkeit der religiösen oder expressionistischen Erbauungsmusik, wie sie damals sehr oft musikalischer status quo der Sinfonik war. Am Schluß wird der Sack mit drei gepeitschten Tutti-Akkorden zugemacht.
Chöre op. 13 und op. 21 (1928–30)
Die Chorstücke op. 13 (1928/29) und op. 21 (1930) bringen den zeitweise bekanntesten Eisler zu Gehör Es ist jener Eisler, der mit Propagandastücken in die politische Gegenwart eingriff Der „Vorspruch“ aus op. 13 beschreibt deutlich, welche Art von verwaschener musikalischer Haltung nicht zu betreiben sei. Eisler kolportiert die religiöse Belanglosigkeit, die falsche Naturergebenheit und die dumm-kitschige Liebeslyrik. Denn das heiße: „sich abwenden von der Wirklichkeit“. Wenn er dann die „Internationale“ zitiert, weist er den Weg für seine Vorstellung realitätsgerechten Handelns. Die nachfolgenden drei Stücke geben dann einen Eindruck von dem, womit man sich befassen kann. Erst durch die Revolutionierung der Gesellschaft wird der Blick frei für ein „anständiges Blau am Himmel“, den „Vogelruf im Wald“ („Naturbetrachtung“). In „Kurfürstendamm“ wendet er das Gehör durch das Gewäsch vom Ku’damm, in dem das Elend der Zündhölzerverkäufer verdeckt wird.
In den Chören op. 21 „Liturgie vom Hauch“ (Text: Bertolt Brecht) und „Über das Töten“ (Text: Hanns Eisler) wird die Notwendigkeit der Veränderung der Welt weiterverfolgt. Beim Chor „Über das Töten“ allerdings entgleitet Eisler die Kampfansage in das vulgäre „Aber wir mussen Blut vergießen, damit kein Blut mehr vergossen wird“.
Die Gestaltung der Lieder ist, obzwar auf die Möglichkeiten eines gewöhnlichen Arbeiterchores technisch reduziert, von sorgfältiger und präziser musikalischer Anlage. So übernimmt Eisler zu Beginn des Chorstücks „Über das Töten“ Techniken der Dodekaphonie, indem er das Tenormelos unmittelbar durch den Alt in der Umkehrung bringt. Ferner sind Eislers Chorstücke weder atonal noch dur-moll-harmonisch festgelegt, sondern beruhen oft auf der Verwendung von modalen Skalen (Kirchentonleitern). Schlußformeln enden regelmäßig auf „leeren“ Quint-Oktav-Klängen oder mit unaufgelösten Quartvorhalten.
All diese Merkmale heben die Stücke aus dem Gros der bis dahin üblichen „politischen“ Musik heraus. Deren Zeit ist zwar aus naheliegenden Gründen längst vorbei, ihr Gebrauch wenig angesagt, aber al5 Museumsstücke haben sie ihren Reiz und ihre Wirkung trotzdem nicht ganz verloren.
Woodbury Liederbüchlein (1941)
Heute ist es so, früher war es kaum anders. Wer zur Emigration sich gezwungen sieht, dem stehen die Türen nicht offen. Er bleibt ein Fremder, von dem man sich höchstens erhofft, daß er nicht allzusehr störend wirkt.
Das Woodbury Liederbüchlein entstand 1941 auf Bitte des Musiklehrers der amerikanischen Ortschaft „Woodbury“. 20 kleine Chorstücke für einen Mädchenchor schrieb Eisler auf eigene Texte, die allesamt nicht gerade auf höchstem Niveau stehen, sondern wie Gelegenheits- oder Verlegenheitswerke wirken. Eine gewisse Ähnlichkeit zu den „Zeitungsausschnitten“ op. 11 ist nicht zu übersehen. Doch bleibt hier der kompositorische Zugriff weitaus lässiger, belangloser. Sie bewegen sich musikalisch in einem nicht abgesteckten Terrain, klingen manchmal mehr hymnisch (Nr.10 „Hector Protector“, Nr.20 „On New Years Day In The Morning“), manchmal erinnern sie an das amerikanische Musikerbe (Nr.14 „1 Had A Little Doggie“ [Blues]), oftmals bedienen sie sich „volks“-liedhafter Einfälle (Nr.2 „1 Had A Little Nut-Tree“, Nr.5 „Nach einem Sprichwort“, Nr.8 „Four And Twenty Tailors“, Nr.12 „Pussy Cat“), andere sind einfach kurze Scherzlieder (Nr.6 „Children’s Rhyme“, Nr.9 „Kanon“, Nr.13, „The Old Woman From France“) etc. Das alles fügt sich zu einem kunterbunten Potpourri zusammen.
Fünf Orchesterstücke (1938)
Seit Ende der 20er Jahre schrieb Eisler häufig Filmmusik; darunter mancher Avantgarde-Film, aber auch „linke“ Filme wie “Kuhle Wampe“ (Brecht). In der Zeit des amerikanischen Exils war das Schreiben von Filmmusik eine Frage des Broterwerbs. Zugleich hatte Eisler aber auch ein Forschungsprojekt zur Filmmusik initiiert, welches seinen publikatorischen Niederschlag in der gemeinsam mit Adorno verfaßten Broschüre „Komposition für den Film“ (1944) fand.
1938 schrieb Eisler Musik zu dem Dokumentarfilm „400 Millionen“ von Joris Ivens. Aus dieser Musik filterte er fünf Orchesterstücke zu einer eigenständigen Komposition heraus, um zu zeigen, daß eine gute Filmmusik auch ohne Film noch hohen künstlerischen Ansprüchen genügen kann. Genuin musikalische Gestaltungsmittel findet man insbesondere im letzten Stück, das zwar „Finale – Improvisation“ überschrieben ist, aber doch deutlich sonatenhafte Züge trägt.
Der erste Satz (Andante) ist eine langsame Einleitung, der im zweiten ein im Charakter springendes Stück folgt (Allegro). Auch hier sind die abrupten Stimmungswechsel immer musikalisch motiviert; so finden sich reichlich kanonisch gearbeitete Passagen. Im dritten, kurzen Stück benutzt Eisler Mittel der Passacaglia, die auf Verwandlungen des B-A-C-H-Motivs basiert. Das nachfolgende „Presto“ wirkt wie ein Intermezzo.
Allen Teilen gemeinsam ist ein besonderer Tonfall, der prinzipiell unter dem Gebot der Durchhörbarkeit steht und daher starken Gebrauch von kammermusikalischer Instrumentation macht. Hier soll niemand emotional zu sehr mitgerissen werden. Im Gegenteil: Distanziertheit ist das „Zauber“-wort dieser Stücke.
Rhapsodie für Orchester mit Sopran-Solo (1949)
Nach seiner Exilzeit in den USA kehrte Eisler in das geteilte Deutschland zurück, wählte dabei die DDR, bezog einen zweiten Wohnsitz aber auch in seiner alten Heimatstadt Wien. Es war jetzt keine Zeit, um wieder Arbeiterchöre zu schreiben, sondern „diese“ sozialistische Gesellschaft soweit mitzuverändern, daß sie eine mit humanem Anstrich werden würde. Zu Beginn gab es da auch noch berechtigte Hoffnungen, trotz des stalinistischen Einflusses.
Die Zeit des Neubeginns wird durch eine Reihe Kompositionen markiert, in denen geistige Offenheit dokumentiert wird. Hauchfein sind die Botschaften des Komponisten Eisler: So bemüht er für die „Rhapsodie für Orchester mit Sopran-Solo“ (1949) ein paar Verse aus Goethes Faust II, dem Teil über und aus Arkadien, das ja als Sinnbild für das sorgenfreie, selige Leben gilt. Folgerecht streicht Eisler die erste Zeile der Goethe-Verse, „Höret allerliebste Klänge!“, denn das sagt die Musik von sich aus. Es ist eine Musik, die in sich die warmen Klänge der Musik Mahlers und Wagners zitiert (zu Beginn die Melodie der Viola). Und auch bei den schwungvollen Passagen ist nicht mehr der kämpferische Ton, sondern ein brillanter, schillernder und teilweise exotischer gemeint. Zum Schluß setzt die Sopranstimme erneut mit den Worten ein: „Doch erfrischet neue Lieder, / Steht nicht länger tief gebeugt“ und verweist auf das Motto, dem Eisler alsbald mit seinen „Neuen Deutschen Volksliedern“ und der Nationalhymne der DDR folgen wird.
Ernste Gesänge (1961)
Die Geschichte der DDR war nicht mit ihrem hoffnungsvollen Beginn identisch. Schon bald zeigte sich, wie kompliziert eine wirklich aufgeklärte Gesellschaft zu realisieren ist. So stimulierten die innergesellschaftlichen Reibereien, der Drang zur Unterdrückung und Reglementierung durch den Staatsapparat, die allseitige Ignoranz, an der Aufklärung engagiert und kollektiv weiterzuarbeiten, Eisler 1961, die „Ernsten Gesänge“ zu komponieren – eine Komposition, die dem puren Aktionismus der neuen Gesellschaft einen fragenden Spiegel vorhält und gleichwohl den Hoffnungsschimmern („XX. Parteitag“) Vertrauen schenkt. Es klingt damit endlich die Überzeugung durch, daß eine Gesellschaft verkommen muß, in der den Einzelnen nicht auch ein persönlicher Glücksanspruch zugestanden wird. Das Epigramm Hölderlins zu Beginn erklärt alles: Alles über die Stücke, ihre Gestalt und über die Biographie Eislers: „Viele versuchten umsonst, das Freudigste freudig zu sagen, hier spricht endlich es mir, hier in der Trauer sich aus.“ Die „Ernsten Gesänge“ sind Eislers letztes, ein sehr intimes, ja geradezu irrationales Werk, von dem er sagte: „Weiß der Teufel, warum ich das geschrieben habe!“
Eisler wählte für seine acht „Ernsten Gesänge“ Texte von Hölderlin (Vorspiel und Spruch, Nr 1, Nr 4, Nr 6), Bertolt Viertel (Nr 2), Leopardi (Nr 3), Helmut Richter (Nr 5) und Stephan Hermlin (Nr 7) und die Besetzung Bariton mit Streichorchester Mit diesen Stücken realisiert Eisler etwas Einmaliges: Er benutzt durchweg in kleinsten Dosierungen Schönbergsche Verfahren – kokettiert mit der Zwölftontechnik, wählt sich charakeristische Intervallgestalten für die einzelnen Stücke –, doch zugleich ist Eislers Musiksprache von einer nirgends plump gemeinten Sentimentalität bestimmt: gewiß Resultat seiner eigenwilligen Auffassung von Tonalität, die deutlich von Brahmsschen Erfahrungen herrührt. Außerdem bricht Eisler keineswegs mit seiner musikalischen Vergangenheit: Wer genau hinhört, findet hier den ganzen Eisler wieder.
Quelle: Text für das Konzerthaus Wien 1995.
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