26. April 2024 Guten Tag, everybody

[Rezension] Vladimir Karbusicky: Wie Deutsch ist das Abendland [1995]

Auf der Suche nach dem Abendland

„Wie deutsch ist das Abendland?“ fragt Vladimir Karbusicky, emeritierter Professor für Systematische Musikwissenschaft der Uni Hamburg und glaubt damit der westlichen Musikwissenschaft und ihrer Musikgeschichtsschreibung eins auszuwischen. Als Zielscheibe seiner Bemühungen dienen ihm, wie schon in vielen seiner anderen Veröffentlichungen, die bösen Dialektiker (Adorno nämlich) und die neuen subjektiven Rationalisten (Eggebrecht, hier vor allem dessen Publikation „Musik im Abendland“).

Vladimir Karbusicky: Wie Deutsch ist das Abendland. Geschichtliches Sendungsbewußtsein im Spiegel der Musik, 152 S (mit Notenbeisp. und Abb.), Von Bockel Verlag Hamburg, 1995, DM 39,80.
Vladimir Karbusicky: Wie Deutsch ist das Abendland. Geschichtliches Sendungsbewußtsein im Spiegel der Musik, Von Bockel Verlag Hamburg, 1995, DM 39,80.

Karbusicky kreidet beiden eine deutschzentrierte Auffassung der Musikgeschichte an. Er schreibt: „Es ist erstaunlich, wie wenig aufgefallen ist, daß Adorno … ein starker Nationalist war.“ Karbusicky interpretiert die Gegenüberstellung von Strawinsky und Schönberg in Adornos „Philosophie der neuen Musik“ als nationalistisches Erbe. Auf den Punkt gebracht: Adorno habe Strawinsky nicht leiden können, weil dieser ein Russe war; Schönberg sei eo ipso gut, weil er ein Österreicher – obzwar nicht deutsch so doch deutschsprachig – war. Es fällt dem Professor Karbusicky auch nicht schwer, die fehlende „deutsche“ Rezeption des Autors Vladimir Jankélévitch der vermeintlich übermächtigen Gestalt Adornos zuzuschreiben (bloß wozu ist denn eine deutsche Rezeption plötzlich notwendig).

Eggebrecht dagegen mache sich schuldig der Ausblendung von osteuropäischen Komponisten wie Suk oder Martinu. Soll man, ja, kann man eine solche Interpretation überhaupt kritisieren? Nein, diese Dummheit kritisiert sich selbst und ist in allen Belangen so fadenscheinig, daß die ernsten Argumente gegen Eggebrecht und Adorno – und man kann einiges gegen sie einwenden – als Nebensächkeiten kaum wahrzunehmen sind.

Ja, es ist ein Jammer. Karbusicky weint vergeblich auf der Suche nach der wirklichen Identität des musikalischen Universalismus und so wendet er seinen Blick auf seine tschechischen Komponisten, was sein gutes Recht ist. Davon hätten sogar die Leser einiges, wenn nicht sein Haß auf andere immer wieder das Lesen stört. So ist das Buch weder als konstruktiver Beitrag zur Forschung etwas nütze, noch hat es das sprachliche Niveau, das eine Polemik nötig hätte. Karbusicky bekennt sich so zwanghaft zu einem Antidogmatismus, daß ihm alles zwischen den Händen zerrinnt. Wer sich nicht die Mühe machen möchte, die Weltgeschichte in ihrer vielfältigen Verknüpftheit zu durchdringen, der liegt bei der zersplitterten Darstellung Karbusickys allerdings genau richtig.

Bibliographische Angaben:

Vladimir Karbusicky: Wie Deutsch ist das Abendland. Geschichtliches Sendungsbewußtsein im Spiegel der Musik, 152 S (mit Notenbeisp. und Abb.), Von Bockel Verlag Hamburg, 1995, DM 39,80.


Zuerst erschienen in der nmz 1995.