19. März 2024 Guten Tag, everybody

Parallelwelten mit Klang- und Zeitkratzern – Ein Abend bei MaerzMusik 2018

Abendfüllend war ein Konzert mit dem Ensemble Zeitkrater nebst Terre Thaemlitz und einer Performance von Mark Fell. Es hinterließ unseren Kritiker etwas verwirrt, so dass er sich in „Parallelwelten“ flüchtete. Man kann einen Abend auch besser füllen, meint Martin Hufner.

Vorweg: Während Sie das hier lesen, tun Sie bitte etwas Vernünftiges: Geschirrspülen, ein Buch lesen, Fenster putzen; etwas, was Ihnen hilft, am Ende zu sagen, diese Zeit hier ist nicht verloren. Denn das wäre etwas, was man auch beim Konzert des Ensembles „Zeitkratzer“ mit Werken von Terre Thaemlitz und Mark Fell entweder gewollte haben könnte – wenn es nicht sogar, wie bei Fell gemacht wurde. Zeit benutzen.

Klangkratzer

Im zweiten Teil des langen Abends bei MaerzMusik 2018 setzte sich Mark Fell an seinen Computer und startete seine Liveperformance „multistability live (microtemporal works)“ von 2010. Präzise, er saß an einem Tisch mit seinem Rechner und modelte seine musikalisch-technischen Klänge durch die Lautsprecher. Über circa 40 Minuten Puckern, Klackern, Blimpern, pulsierendes Geknatter durchweg großer Lautheit. Sich durchaus in der Zeit verändernd. Metren mäanderten in- und durcheinander. Ein langer Fluss, dem man sich anvertrauen konnte oder eben auch nicht – die Reihen hatten sich bereits während und nach dem ersten Teil des Konzertes gelichtet, bei Fell ging das weiter. Fell saß am Rand der vorderen Bühne, das Bühnenarbeitslicht aus Neonröhren bot den Blick auf den gesamten Raum dahinter. Dort standen noch die Instrumente, Lautsprecher und lagen noch die Kabel des ersten Teils des Konzertes. Diese wurden währenddessen abgebaut, weggeräumt, eingepackt, weggeschoben. Ziemlich gleichzeitig mit dem Ende der Aufräumarbeiten packte Fell seine Wasserflasche in den Rucksack, band sich diesen um, setzte sich kurz hin und schloss danach den Laptop und ging von der Bühne. Das war’s – Begleitmusik zu einer Abbauszene. Aufbrandender Applaus. Gut. Naja. Kann man machen, es füllt auf jeden Fall Zeit. Es wäre eher zu Ende gewesen, wenn die Bühnenarbeiterinnen schneller gewesen wären und später, hätten sie langsamer aufgeräumt. So ein bisschen artifical negative muzak das alles, antiauratisch.

Mark Fell am Computer im Festspielhaus. Foto: Hufner
Mark Fell am Computer im Festspielhaus. Foto: Hufner

Zeitkratzer

Apropos Zeitfüllen: Das war auch Gegenstand des ersten Teils des Abends. Das Ensemble „Zeitkratzer“ mit dem zweiteiligen Stück „Deproduction“ für Ensemble und Elektronik (2017/18). Eine Uraufführung. Das Programmheft sagt dazu: Hier „untersucht Thaemlitz die Machtdynamik hinter den westlich-humanistischen Vorstellungen von Familie und zeigt strukturelle Verbindungen zwischen Heteronormativität, familiärem Missbrauch, häuslicher Gewalt und institutionalisierter Dominanz auf.“ Untersucht er? Nein, tut er/sie nicht, nicht wirklich. Es handelt sich um zwei Stücke von ca. 45 Minuten Dauer, in denen Klänge erzeugt, Texte (bei Nummer 1 – „Names Have Been Changed“ unverständlich) gesprochen, deklamiert oder geschrieen und Zuspielungen implantiert wurden. Bühnennebel waberte und Lichtdramaturgie verwandelte den Raum verschieden stark, verschieden präzise und farblich verschieden. Das alles wurde zusammen addiert auf einem musikalischen Plateau, das entweder sehr redundant wiederholend oder dynamisch stehend war. Es war wie ein auf die Bühne gebrachtes Hörspiel, das die Zuhörenden sowohl über- wie unterforderte. In beiden Fällen mit den gleichen Folgen, man genießt es entweder – oder man lässt es bleiben und langweilt sich mit der Zeit. Dabei sind die jeweiligen Anfangszustände der Stücke recht reichhaltig.

Im ersten Stück mit einer geradezu vegetativ-tropischen Schwüle, die dann vor allem durch die sich in den Streichern (zwei Celli und ein Kontrabass) wiederholenden Seufzergesten gehalten werden und darin auch sich aufreiben. Im zweiten Stück „Admit It’s Killing You (And Leave)“ liegt alles auf einer Art Grundklang, der sich kathedralartig aufbaute und in sich schimmerte. In diesem stehend-bewegten Zustand gab es dann dynamische Binnenstrukturen, die aber nach ganz althergebrachtem Muster (dichter und lauter oder dünner und leiser werdend) bearbeitet wurden. Die Repetition ist in diesem Stück dann durch einen Text aus vier oder fünf Sätzen gegeben, den Terre Thaemlitz wieder und wieder sprach. Das dauerte. Kann man machen, kann länger dauern, kann auch kürzer sein. Als „Untersuchung“ wirkte dies eher nicht, sondern eben nur wie Musik/Klänge mit Texten einer bestimmten Gesamtdauer.

Der Rezensent gibt zu: Beide Teile des Abends haben ihn nicht besonders beeindruckt oder mitgenommen, sondern vor allem erschöpft. Das alte Problem, dass sich die politische Absicht, die den Stücken zugrunde liegen soll, a) nicht vermittelt, b) durch ihr Auftreten als musikalisch-ästhetisches (von mir aus auch schlicht „performatives“) Artefakt in c) einer institutionellen Veranstaltung, gewissenmaßen selbst entmächtigt, bleibt.

Parallelwelten

Rechts im Vorraum des Hauses der Berliner Festspiele gibt es eine Installation unter dem Motto „Parallelwelten“. Ein bunter Kubus mit einer quadratischen Lichtfläche oben, an den Rändern kleine Steinchen in vier Farben mit eigenartigen Zeichen oben (und unten einem QR-Code), die jeweils verschiedene klang- oder textartige Ereignisse repräsentieren. Diese positioniert man – wenn man mag – nach Lust und Laune auf der Fläche, wobei sie ihre akustischen Eigenschaften erzeugen und je nach Lage verändern. Ein Spiel. Über drahtlose Kopfhörer kann man die Ergebnisse in Echtzeit hören. Das macht Laune, das fordert experimentelles Echtzeitkomponieren heraus, auch in der Gruppe. Eine schöne Idee. „Das Projekt ist Teil der Reihe Parallelwelten, einem neuen Programm von jungen Menschen für junge Menschen bei den Berliner Festspielen. Parallelwelten findet in Kooperation mit dem Game Science Center Berlin statt und wird finanziert durch die Karl Schlecht Stiftung.“

Man sollte den Abend vielleicht etwas spielerischer nehmen.

Aufgeräumt?

Wenn alles gut gegangen ist, dann haben Sie jetzt nebenbei etwas Wesentliches erledigt, wenn nicht, dann lesen Sie den Text einfach solange immer wieder, bis Sie Ihr Ziel erreicht haben. Oder auch nicht.


Zuerst erschienen auf nmz.de am 22. März 2018