In einer Umfrage des Landesmusikrates Berlin zur aktuellen Wahrnehmung des Kulturkanals von Radio Berlin/Brandenburg (kurz rbb -Kultur) wurde auch gefragt: „Bei welchen Gelegenheiten hören Sie Radio?“ Den stärksten Ausschlag (es waren mehrfache Antworten möglich) gab es bei der Vorgabe „Beim Autofahren“ mit knapp 54 Prozent der Umfrageteilnehmer*innen.
Was wird wohl aus dem Kulturradio, wenn in naher Zukunft der private Individualverkehr erheblich wird nachlassen müssen? Wird dann die Hörendenquote der Kultursender von 2,5 Prozent auf 1,25 sinken? Oder passiert zuvor noch etwas Umgekehrtes, falls die Elektroautomobile an Zahl zunehmen und damit die Geräuschkulisse im Fahrzeug zugleich abnimmt? Es begänne eine neue akustische Zeitrechnung, bei der weite Teile neuer Musik, feinstsinnig im Pianissimo-Stil oder philosophisch-filigran erstmalig viele Hörende erreichen. Denn wie häufig ist verlöschende Musik im Krach aufheulender Wutmotorik am Stau-Ende untergegangen.
Man muss tatsächlich annehmen, dass ein großer Teil klassischer Musiktradition für Autofahrende bisher komplett unbekannt geblieben ist und andere den Unterschied zwischen einer Cembalo-Suite von Georg Friedrich Händel und ihrem Viertakter-Eigengeräusch nie kennenlernen durften – eine vermutlich schwer enttäuschende zukünftige Erkenntnis.
Dem rbb jedenfalls darf man danken, dass er für die stressigen und nervigen Autofahrenden aktuell das richtige Angebot macht: klangdesigngestützte Tonsülze, die jedem allradbetriebenen Knatter-Vehikel als akustisches Glutamat dient. Die zu den Bildungs- und Sportstätten eskortierten Kinder krächzen feinstaubverseucht zitternd „Hömma, da vorn, ein Audi, Einaudi.“ Und haben fast immer recht.
Zuerst erschienen in nmz Ausgabe: 5/2021 – 70. Jahrgang