25. April 2024 Guten Tag, everybody

Die Selbstverüberflüssigung des Kulturradios

Wie gut wir es doch in Deutschland eigentlich mit dem Angebot unseres öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben. Er beliefert uns zuverlässig mit soliden Inhalten in Sachen Unterhaltung, Kultur, Bildung und Information. Jedenfalls noch, leider immer weniger. Und das, obwohl die Rundfunkbeiträge trotzdem nicht sinken, obwohl die Qualität fällt.

Fallen sollten die Beiträge aber nach Wunsch der FDP, die im Wahlprogramm einen „moderneren und schlankeren öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) [fordert], der sich primär auf Nachrichten, Kultur, politische Bildung und Dokumentationen konzentrieren soll. Damit wollen wir den Rundfunkbeitrag absenken.“ Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Steigen müsste der Rundfunkbeitrag, damit sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf Nachrichten, Kultur und Dokumentationen konzentrieren kann, statt sich als Konkurrent zu privaten Medien zu positionieren.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk tut aktuell dagegen alles in seiner Macht stehende, um sich selbst zu kastrieren und dabei noch einmal schnell abzukassieren. Denn gerade im Bereich Kultur ist in den letzten Jahren besonders „modernisiert und verschlankt“ worden. Orchesterfusionen, Stellenabbau, Reduktion des Autor*innenradios mit Features und originalen, von freien Mitarbeiter*innen recherchierten Beiträgen. Hinzu, beziehungsweise „abzu“ kam der schrittweise, aber stetige Abzug aus der Beteiligung, Förderung und Dokumentation von Kulturveranstaltungen – schon lange hat das ARD-Fernsehen sein Engagement beim Berliner Jazzfest aufgegeben. Das Engagement für den Erhalt der kulturellen Substanz in Zeiten der Pandemie blieb insgesamt übersichtlich, was gemacht wurde, nahm man mit Wohlwollen zur Kenntnis, aber in der Sache blieb es dabei wohl bei einer Art Not­einsatz ohne Nachhaltigkeit, aber das kann erst die Zukunft wirklich zeigen.

Ein Detail am Rande darf man als symptomatisch für das Herunterwirtschaften des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erwähnen: Bis vor kurzem gab es eine Suchmaschine für Radio-Sendungen in ARD und Deutschlandradio. Von deren Existenz wussten nur wenige Menschen, vermutlich selbst im öffentlich-rechtlichen Rundfunk selbst. Mit dieser speziellen Datenbank und Suchmaschine konnte man halbwegs bequem nach Musikgenres oder Autor*innennamen deutschlandweit das Radioprogramm durchforsten. Dieses hilfreiche Tool wurde nun wohl endgültig abgeschaltet. Man habe kein großes Interesse daran bemerken können und wolle sich jetzt auf den Ausbau der Mediathek konzentrieren, wird die Entscheidung der ARD-Hörfunkkommission nach außen kommuniziert. Wir haben mit Hilfe dieser Suchmaschine übrigens in unseren Online-Angeboten ganz erfolgreich eine Radiowoche für Neue Musik, Musikfeatures und SoundArt sowie eine Jazzwoche destilliert, die, wenn sie aus arbeitstechnischen Gründen ausblieb, sofort kritisch als Mangel wahrgenommen wurde.

Die Radiosuchmaschine. Am Ende.
Die Radiosuchmaschine. Am Ende.

Wer sein Radioprogramm und die Arbeit, die Redakteur*innen, Autor*innen und Techniker*innen dort hineininves­tieren, selbst so wenig schätzt, muss sich am Ende nicht darüber wundern, wenn der Unmut über den Zustand des öffentlich-rechtlichen Radioprogramms gerade unter Kulturinteressierten steigt, die für die Verantwortlichen offenbar nur als quantitativ zu vernachlässigende Zahl zählen. Zu befürchten ist Schlimmes. Der Rundfunk zieht seine Mauern hoch und die brechen die konkreten Brücken zu seinen Hörer*innen ab. An die Stelle lebendiger Kommunikation mit seinem Publikum treten Meinungsforschungsinstitute, die mit untauglichen Mitteln „Geschmackserwartungen“ eruieren wollen, um den kleinsten gemeinsamen Nenner einer zudem nur in Excel-Tabellen existierenden potenziellen Hörendenschaft zu erkunden. Gleichzeitig wird das kuratorische Prinzip Stück für Stück durch Auflösung und Reduktion von Redaktionen aufgegeben. Mit dem ersparten Geld erschweigt man sich nötige ästhetische und gesellschaftliche Reibungen. Man ersetzt sie durch empirische Scheinfakten, deren Substanz sich in Beliebigkeit auflöst.

Schützenhilfe erfährt man aus der Wissenschaft, wenn etwa Prof. Dr. Melanie Wald-Fuhrmann, die Direktorin der Abteilung Musik am Max-Planck-Ins­titut für empirische Ästhetik, in einer Radio-Sendung zum Thema „Immer weniger Vielfalt – wie Radio unseren Musikgeschmack beeinflusst“ sagt: „Muss kulturelle Bildung und Erziehung heißen: ‚Wir wissen, was gut ist und die Dummie-Hörer, die müssen sich das jetzt von uns sagen lassen?‘“ So in etwa darf man sich die Wertschätzung seiner Hörendenschaft im Rundfunk vorstellen. Sie sollen es sich nämlich nicht von denkenden und fühlenden, gebildeten Menschen erklären lassen, sondern von vollkommen wertneutralen, exakten Maschinen ohne Urteilskraft: Algorithmen machen das Programm, direkt vernetzt mit Analysetools in Netzen und Apps und durch immer deutlicher sinndesorientierte Umfragen. Sie beliefern zuverlässig das quotenbringende Publikum mit den besten gesangsreduzierten Hits des 17., 18. und 19. Jahrhunderts, plus geschmacksneutral moderierten Pathosfilmmusiken und mental minimalinvasiven Piècen aus der repetitiven Musik.

Womit Stufe „Zwei“ des Abgesangs automatisch mitgezündet wird: Die Verüberflüssigung musikalischer Vielfalt. Aus gut unterrichteten Quellen wird berichtet, dass es in den nächsten nicht zu fernen Jahren zu einer Fusion sämtlicher Kulturradios nördlich von Südwestrundfunk und Bayerischem Rundfunk kommen wird: ein Kulturradio für alle, betrieben am Ende gar von Demoskopiemaschinchen. Da kann man sich die Suchmaschinen tatsächlich sparen, weil man längst laufend geboten bekommt, was man sowieso nicht hören will. Den Instagram-Account wird der ehemalige NDR führen.

Auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit reißt man dabei im Internet die Konkurrenz der zu Medienhäusern aufgestiegenen Zeitungen (wie auch der neuen musikzeitung) mit. Beispielhaft dafür wären die Podcast-Engagements in Sachen Jazz beim WDR, die man absurderweise dort selbst mit grobem Schnitt aus dem dafür eigentlich vorgesehenen Radio-Programm gestrichen hat. Und da hört der Spaß dann endgültig auf.


Zuerst erschienen in nmz Ausgabe: 6/2021 – 70. Jahrgang