6. Dezember 2024 Guten Tag, everybody

Gebrüllte Liebe?

„Ja, ich habe gebrüllt. Aber nur in größter Not, in schwachen Momenten, wenn ich nicht mehr weiterwusste. Ich brülle aus Liebe! Zu einer Liebesbeziehung gehört die Auseinandersetzung. Das Leben ist nicht harmlos, es ist Blut und Schrecken.“ Oh, wie schön, wie leidenschaftlich. Der dies in einem Interview in der Berliner Zeitung sagte, ist der Theatermann Claus Peymann, 85 Jahre jetzt, der renommierte Rebell. Was für ein Hecht auch; Kunst ist schließlich so wenig ein Ponyhof wie das Leben: „Schauspieler lieben mich, trotz oder wegen meiner Brüllerei“.

Es ist das peinliche Eingeständnis einer offensichtlich hilflosen und überforderten Person, die über zu wenig Fähigkeiten zu verfügen scheint, ihren Job, ihre Berufung so zu machen, dass Menschen darunter nicht leiden müssen. Wer so redet, vergeht sich allerdings auch an der Kunst, die er selbstgefällig für sich reklamiert.

Die Reaktion ließ ausnahmsweise einmal nicht lange auf sich warten: „Bitte! Nehmen Sie das zurück. Ich habe Sie nie geliebt. Ich kenne auch keine Kolleginnen oder Kollegen, die das tun. Niemand wird gerne angebrüllt. Es ist kein künstlerischer Vorgang. Es ist Missbrauch.“ Das antwortete dem genialen Regisseur eine seiner Schauspielerinnen, Mareile Blendl, ebenfalls in der Berliner Zeitung.

Ohne eine qualifizierte, vielstimmige ästhetische Grundsicherung einer Gesellschaft, bildet sie sich um zu einer sich selbst vergiftenden und andere tötenden kulturbarbarischen.

Martin Hufner (nmz 2022/07)

Ein Einzelfall? Keinesfalls, der Kunstbetrieb scheint diese Verehrung und den Kniefall vor einer Genialität der Maestri zu goutieren wie man auch Tierquälerei als notwendige Voraussetzung für kulinarischen Hochgenuss akzeptiert. Natürlich bleibt auch der Musikbereich von solcherlei Unterwerfungshandlungen nicht verschont. Er wird sogar ökonomisch belohnt.

Der größte Teil der Künstler*innen, Pädagog*innen und Vermittler*innen „lebt“ nach wie vor von der Hand in den Mund – auch seitens der öffentlichen Hand – in die man bekanntlich ja nicht beißen soll.

Zum Sterben zu viel, zum Leben oft genug zu wenig. Aber ohne eine qualifizierte, vielstimmige ästhetische Grundsicherung einer Gesellschaft, bildet sie sich um zu einer sich selbst vergiftenden und andere tötenden kulturbarbarischen.