27. Juli 2024 Guten Tag, everybody

Arnold Schönberg: Streichtrio op. 45 (1946)

Deutlich wird Schönbergs luzide Behandlung der Zwölftontechnik schließlich im Streichtrio op. 45. Ein Werk, dessen Entstehung Hanns Eisler so nacherzählt hat:

„Schönberg hatte … 1946 einen tödlichen Herzanfall. Also muß ich sagen: er war tot. Durch eine Spritze in sein Herz wurde er noch einmal zum Leben erweckt, und mit Sauerstoffflaschen und mit sehr guter Pflege hat er immerhin noch sechs Jahre gelebt. Es gibt, wie Sie wissen, diese berühmten Spritzen direkt in das Herz hinein. Als erstes Stück, als Schönberg wieder aufstand von seinem Krankenlager, schrieb er ein Streichtrio, das ich für eine der schönsten Kompositionen halte, die er geschrieben hat – nicht nur ich, die ganze Musikwelt. Als ich Schönberg, der mir das Manuskript zeigte, sagte: ‚Aber Herr Schönberg, das ist doch eine ganz grandiose Komposition‘, sagte er: ‚Wissen Sie, ich war so schwach, ich weiß gar nicht, wie ich das geschrieben hab‘. Ich hab‘ irgendwas zusammengschriebn.‘ Aber er hat mir auch gezeigt, wie jeder Akkord eine Injektion illustriert.“ (Eisler: Fragen Sie mehr über Brecht. Gespräche mit Hans Bunge, Darmstadt 1986, S. 65)

Auch im Streichtrio operiert Schönberg mit Zwölftonreihen, die aber kaum merkbar hinter der Vielzahl von Ideen, die er hier entfaltet, verschwinden. Das einsätzige Stück ist dreiteilig, wobei die Teile untereinander durch Episoden verbunden oder, je nach Sichtweise, getrennt sind. Der dritte Teil greift wieder auf den ersten Teil und seine Episode zurück und nimmt damit formal die Funktion einer Reprise ein. Während man beim dritten Streichquartett noch jedem Satz so etwas wie einen Grundgestus zuschreiben konnte, ist das Streichtrio bunt zusammengeschrieben. Es ist wahrhaft eine Phantasie. Während im dritten Streichquartett jeder Satz seine eigene Ausdrucksgestalt nahezu konsequent beibehält, wechseln hier die musikalischen Gesten von Augenblick zu Augenblick. Wie Splitter zerbrechenden Glases lösen sich die Gesten nacheinander ab. Sie gehen weder streng motivisch-thematisch auseinander hervor noch sind sie wie Versatzstücke aneinandergehängt. Im ersten Teil dauert kaum ein musikalisch zusammenhängendes Partikel länger als drei Takte an. Von Takt zu Takt ändern sich die Spielweisen: Flageolett, spiccato, col legno, tremolo. Die nachfolgende erste Episode führt dann einen lyrischen Tonfall ein. Überraschend taucht dann ein warmer Serenaden-Ton im zweiten Teil auf. Später, in der zweiten Episode wird der Typus des Marsches zitiert. Im letzten Teil werden dann die verschiedenen Tongesten viel näher und ausdauernder zusammengebracht.

Es ist aber nicht eigentlich musikalisch beschreibbar, wie dieses Stück die Kraft seines Zusammenhalts gewinnt. Wahrscheinlich läßt es sich nur so erklären: Jedes einzelnes Teilchen dieses Stücks ist an sich von so bezwingender innerer, gehörter Logik, daß der Zusammenhang sich, kraft Fehlens von Überflüssigem, wie ein großes schillerndes Kristall verstehen läßt. Von welcher Seite aus man es auch betrachtet, ändert es seine Farbe, die Intensität von Reflexen, seine Größe. Es bleibt ein Stück von unglaublicher Unmittelbarkeit und zugleich so rätselhaft wie ein undurchdringliches Orakel.